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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ältlichen Frauen, sondern auch Männer und manche der Jüngeren. Sie sahen ihn jetzt mit anderen Augen, erkannten den Glanz, mit dem Gott ihn gesegnet hatte, als er ihn aussandte, Peat Moss zu retten.
    Lächelnd öffnete er die Schlafzimmertür, bereit, eine erneute Gratulation entgegenzunehmen. Aber seine Finger krallten sich um den Knauf, und ihm blieb die Luft weg. Er versuchte die Tür zuzuwerfen, war aber nicht schnell genug.
    Adele Hebert drängte sich an ihm vorbei und brachte den Geruch des Todes mit ins Zimmer. Ihr Körper war von den Dornensträuchern der Sümpfe verunstaltet, ihre zerzausten schwarzen Locken hingen ihr ins Gesicht – ein so verstörender wie exotischer Anblick. Der Priester wich zurück.
    Sie schloss die Tür und lehnte sich dagegen, womit sie ihm die einzige Fluchtmöglichkeit raubte.
    »Heiliger Vater, segne und beschütze mich.« Das Gebet kam ihm ganz automatisch über die Lippen. Ihr Blick durchbohrte ihn, und er verstummte. Sie umkreiste ihn, bewegte sich mit einer Anmut und einer Sicherheit, die ihren erbärmlichen körperlichen Zustand Lügen strafte. Er sah Schnittwunden, die bis zu den Knochen gehen mussten, Abschürfungen und von Schlamm und Eiter verkrustete offene Stellen. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch aufrecht stehen und gehen konnte, ganz davon zu schweigen, dass sie sich mit der Geschmeidigkeit eines Panthers bewegte. Sie war mehr wildes Tier als Mensch.
    »Adele«, sagte er mit sanfter Stimme. Es war nun das zweite Mal, dass sie sich ihm zeigte. Seit einer Woche war die ganze Stadt hinter ihr her, aber sie hatte entschieden, ihm unter die Augen zu treten. Sie hatte ihm Peat Moss gebracht. Adele hatte eine Rolle in dem Plan gespielt, den Gott für ihn auserkoren hatte, und vielleicht war seine Aufgabe noch nicht erfüllt. In den letzten zehn Jahren hatte er immer um ein Wunder gebetet. Als Rosa Hebert ihre Wundmale bekam, hatte er geglaubt, Gott hätte seine Bitten erhört. Jetzt hatte er eine zweite Chance.
    Er spürte seine Blase im linken Schuh, ein ganz gewöhnlicher, vertrauter Schmerz. Ein kleiner Wink Gottes, dass die Frau, die hier vor ihm stand, auch nur eine weltliche Seele war, ein gewöhnlicher Mensch in schrecklichen Schwierigkeiten. »Adele, alle jagen Sie. Man glaubt, Sie hätten Praytor getötet. Und Henri. Aber dem Kind haben Sie nichts getan. Sie haben Peat Moss nicht verletzt.«
    Ihr Kopf ruckte, als versuchte sie die wahre Bedeutung seiner Worte zu begreifen. Dass sie das Kind nicht angegriffen hatte, gab ihm Vertrauen. Vielleicht war sie wie Rosa zu ihm gekommen, damit er sie beschützte und rettete.
    »Adele.« Er ging einen Schritt auf sie zu. »Ich will Ihnen helfen.«
    Sie beäugte ihn, das Feuer in ihren Augen schimmerte gelb, dann rot. »Meine Schwester«, flüsterte sie mit rauer, heiserer Stimme.
    Der Priester wankte. Sie klang unmenschlich, als ob ein Wesen tief in ihrem Inneren aus ihr sprach. »Rosa?« Er stolperte über den Namen.
    »Helfen Sie mir!« Adele näherte sich einen Schritt.
    Nichts war in dem alten Haus zu hören bis auf das Knacken des Feuers und ein Brett, das im Flur knarrte. Als würde jemand durch den Flur schleichen.
    Der Priester konnte es nicht länger ertragen. »Colista!« Er machte einen Satz zur Tür und stürzte in den Flur, knallte die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um. »Colista! Rufen Sie den Sheriff!« Er wich von der Tür zurück, während sich Adele drinnen gegen die Tür warf. Die Tür erbebte, aber sie hielt. Der Priester drehte sich um und rannte in die Sicherheit der Küche und zum Telefon.

29
     
     

     
     
     
     

     
    lorence trommelte mit den Fingernägeln auf den Schalter. Eine Stunde war vergangen, und von Chula – oder irgendjemand anderem – keine Spur. Irgendetwas war im Süden der Stadt los. Sie hatte Joe Como in seinem Wagen durch die Stadt rasen sehen, gefolgt von Pinkney, der ihm in seinem alten, wehenden Mantel wie ein zerfleddertes Gespenst gefolgt war. Nach seiner Miene zu schließen, musste er soeben miterlebt haben, wie ein Toter aus dem Grab wiederauferstanden war. Bis sie jedoch mit ihren hochhackigen Schuhen hinter dem Schalter hervorgekommen war und zur Straße laufen konnte, war er zu weit weg, um ihn noch aufzuhalten.
    Sie saß im Postamt fest und wartete.
    Gelangweilt, voller Ungeduld ging sie nach draußen. In der Luft lag ein schwaches Sirren, so, als würde jeden Moment der Blitz einschlagen. Dann blieb sie mit dem Absatz in einem Riss im

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