Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
hatte getötet und getötet und immer weiter getötet, eine primitive Kreatur, die alles auslöschte, was ihr zu nahe kam. Er würde noch immer töten, wäre er nicht verwundet worden. Die Regierung hatte ihm Orden verliehen, aber er wusste, dass er nicht aus Tapferkeit oder Edelmut so gehandelt hatte. Er hatte aus Schmerz getötet. Der Wolf in ihm hatte die Herrschaft übernommen, und Raymond wusste, dass er das nie wieder zulassen durfte.
Stirnrunzelnd zündete sich John eine Zigarette an. »Alles in Ordnung, Raymond?«, fragte er.
»Ja, warum?«
»Sie bluten.«
Raymond fasste sich ans rechte Ohr. Als er seine Finger betrachtete, waren sie blutverschmiert. »Ich weiß, dass Adele keinen der beiden Männer getötet hat. Ich kann es nicht beweisen, und ich kann nicht erklären, wie eine Frau, die so schwach ist, dass sie noch nicht mal den Kopf heben kann, wie ein wildes Wesen durch die Stadt läuft. Adele ist kein loup-garou . Aber wenn ich es nicht beweisen kann, wird sie wie ein tollwütiger Köter erschossen.«
John zog ein Taschentuch heraus und reichte es ihm. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen irgendwie helfen.«
Raymond wischte sich das Blut von der Wange. »Ich muss herausfinden, wer das alles Adele anhängen will. Ich bin überzeugt, irgendjemand hat ihr etwas gegeben, aber ich habe dafür keinerlei Beweise.«
»Was gegeben?« John, die Zigarette locker zwischen den Fingern, beugte sich vor.
»Ich hab da was.« Raymond holte das Brot und das Grasbüschel aus seiner Jackentasche und legte es auf den Sitz. »Das müsste ich an der Universität untersuchen lassen. Vielleicht kann mir dort jemand sagen, was es ist.«
John betrachtete das Brot, bevor er das violette Tuch aufschlug. Erst eine Meile weiter ergriff er wieder das Wort.
»Von diesem Gras – was immer es sein mag – befindet sich auch etwas im Brot.«
»Ja. Aber ich weiß nicht, was es ist.« Er verringerte die Geschwindigkeit.
»Man bräuchte jemanden mit einem Mikroskop, der sich besser mit Botanik auskennt als ich.«
»Können Sie so jemanden für mich auftreiben? Wenn ich weiß, was man ihr gegeben hat, finde ich vielleicht auch heraus, wer es ihr gegeben hat.«
Sorgfältig wickelte John die beiden Dinge wieder ein. »Raymond, ich weiß nicht, wer der Täter ist, aber ich weiß vielleicht, wie das alles in die Tat umgesetzt wurde. Die Werwolf-Legende stammt aus Frankreich.« Er warf seine Kippe aus dem Fenster. »Zwischen 1520 und 1630 gab es allein in Frankreich über dreißigtausend Werwolf-Prozesse. Scheinbar ganz gewöhnliche Menschen zeigten Verhaltensweisen, die der Lykanthropie zugeschrieben wurden. Sie verfügten über außergewöhnliche Körperkräfte.«
»Ich weiß Ihren Geschichtsunterricht zu schätzen, aber …«
John hob die Hand. »Hören Sie zu. Viele Bewohner der entlegenen Dörfer waren dem Verhungern nahe. Ein Pilz, Mutterkorn, hatte das Getreide befallen. Er zeigt halluzinogene Wirkung. Wer unter seinem Einfluss steht, leidet an Wahnvorstellungen und entwickelt, so wurde es jedenfalls beschrieben, übermenschliche Kräfte. Die Bewohner hatten Brot gegessen, das mit …«
Raymond brachte den Wagen zum Stehen. Er wandte sich an John. Eine schreckliche Ahnung überkam ihn. »Wo wächst dieser Pilz?«
»Ich hab mich nie genauer damit befasst, aber ich nehme an, wahrscheinlich überall, wo es warm und feucht ist.«
Raymond drückte aufs Gaspedal, riss den Lenker herum, und der Wagen krachte bei der Kehrtwende beinahe in den Graben auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Raymond steuerte heftig gegen, der Streifenwagen wühlte sich durch den lockeren Seitenstreifen, so dass beide Männer fast aus den Sitzen gehoben wurden, bevor sich der Wagen wieder ausrichtete.
»Ich nehme an, unsere Pläne haben sich geändert«, sagte John.
»Ich weiß jetzt, was geschehen ist. Zum Teil jedenfalls.« Raymond gab Gas. Der Wagen polterte über die unbefestigte Straße. »Und Sie werden mir helfen, den Rest auch noch herauszufinden.«
Sarah Bastions schrille Schreie hallten von den Holzwänden des Postamts wider. Chula versuchte das Kind in den Armen zu wiegen, aber Sarah strampelte und wehrte sich überraschend vehement und schien nur darauf aus zu sein, zu flüchten.
»Kann ich helfen?«, fragte Florence, die Hand auf dem Schalter.
»Nein.« Chula schlang die Arme um das kleine Mädchen und hob es hoch. »Entschuldigung.« Sie trug Sarah nach hinten, wo noch immer die unsortierten Postsäcke lagen. Sie hatte keine
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