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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sich, strich ihr über den Rücken und küsste ihr die Stirn. »Es tut mir so leid, dass du so viel Schreckliches erleben musstest. Es tut mir ja so leid.« Sie ergriff die Hand des Kindes. »Dir wird nichts mehr geschehen, Sarah. Keiner wird dir mehr wehtun.« Sie verstärkte ihren Griff. »Keiner wird dir mehr etwas antun.«
    Sarah riss sich von Chula los. »Adele!« Und damit rannte sie auf die Gasse zu.
    Chula wollte ihr folgen, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Adele stand in der Gasse. Ihre zerrissenen Kleider gaben den Blick auf ihre fürchterlich abgemagerten Gliedmaßen frei. Lange rote Striemen bedeckten Arme und Beine, ihr Gesicht war ausgemergelt. Die dunklen Augen, unter den dichten zerzausten schwarzen Locken kaum zu sehen, waren auf Sarah Bastion gerichtet.
    »Nein! Sarah!« Chula stürzte sich auf das Kind, hob es hoch und rannte mit ihm nach Hause.

28
     
     

     
     
     
     

     
    er Streifenwagen flog über die Straßen. Raymond kämpfte am Steuer gegen den sandigen Untergrund und sein Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief. Allmählich wurde ihm einiges klar. Es gab nur eine Person in der Stadt, die noch eine direkte Verbindung nach Frankreich aufwies. Die Akadier waren zwar französischer Abstammung, hatten sich im Lauf der Zeit aber allesamt vermischt. Bis auf die Mandevilles. Das wusste er, weil Marguerite Mandeville Bastion immer großen Wert darauf gelegt und allen davon erzählt hatte. Marguerite war höchstwahrscheinlich die einzige Person in der Gemeinde, die vom Mutterkorn und der grausamen Geschichte des halluzinogenen Pilzes wusste. Und Marguerite würde von Henris Tod profitieren. Allerdings war es nicht Marguerite gewesen, die Adele den Pilz verabreicht hatte. Es musste Bernadette gewesen sein, die, obwohl von ihrem Mann verlassen, über ihre Verhältnisse lebte. Die beiden Frauen mussten sich verschworen haben – Marguerite, um Henri loszuwerden und an sein Geld zu kommen, und Bernadette, um Adele zu bestrafen.
    Er erinnerte sich an Adeles Haus, an den Geruch des starken Reinigungsmittels. Sie hatte an Fieber gelitten. Ihre Kinder waren gestorben, sie hatte sie neben ihrer toten Schwester im Sumpf bestattet. Adele war mit Trauer und Tod geschlagen, ihr Haus aber war makellos aufgeräumt.
    John, scheinbar völlig entspannt, lehnte sich gegen die Wagentür. Er fragte nicht und wartete darauf, dass Raymond von sich aus erzählte, was er für wichtig erachtete.
    »Ich hab Adeles Haus durchsucht«, sagte Raymond. »Ich bin alles durchgegangen, habe aber keinerlei Lebensmittel finden können.«
    John griff sich die Zigarettenpackung vom Sitz. Nach vorn gebeugt, um die Streichholzflamme zu schützen, zündete er sich eine Zigarette an und lehnte sich wieder zurück. »Und was denken Sie sich?«
    »Adele hat keine Freunde. Bernadette hasst sie. Die Person, die das Haus gereinigt hat, hat damit auch Beweise fortgeschafft.«
    Raymond fuhr in eine enge Kurve und verlor in einem tiefen Sandabschnitt fast die Kontrolle über den Wagen. Er geriet ins Schleudern, steuerte gegen, und nachdem der Wagen wieder ausgerichtet war, fragte er: »Was ist mit den Leuten geschehen, die von dem Pilz gegessen haben? Hat im Gefängnis die Wirkung nachgelassen?« Er könnte Adele in Sicherheit bringen – fort von Bernadette und allen anderen –, bis sie wieder bei Sinnen war.
    John nahm einen Zug von der Zigarette und schnippte die Asche aus dem Fenster. »Zur damaligen Zeit gab es keine Gerichtsverfahren. Die Angeklagten wurden einfach hingerichtet. Gehängt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
    Raymond drückte das Gaspedal durch. »Wir müssen Marguerite finden. So schnell wie möglich.«
     
    Der Priester vergewisserte sich, dass sein Kragen gerade und sauber war. Während der Nacht und am frühen Morgen war er zu einer Schlussfolgerung gelangt: dass er nun als Held angesehen wurde, war genau das, was er sich immer erträumt hatte. Er hatte Peat Moss gefunden – war vielmehr über sie gestolpert –, und er hatte jedem die Wahrheit erzählt, wie es dazu gekommen war. Dennoch galt er als derjenige, der das Kind aus den Klauen des loup-garou befreit hatte. Der Ruhm, nach dem er sich so lange gesehnt hatte, war ihm durch einen Zufall zuteilgeworden. Die Wege des Herrn waren oftmals unergründlich.
    Er hörte Schritte im Flur, worauf er einen letzten Blick in den Spiegel des Schranks warf. Den gesamten Morgen über waren Gemeindemitglieder erschienen und hatten ihm gratuliert. Und nicht nur die

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