Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Ahnung, was sie für das Kind tun, wie sie ihm helfen konnte oder was der Auslöser für den Anfall gewesen war. Den einen Augenblick hatte sich Sarah noch an ihrem Rock festgehalten, scheinbar mit sich und der Welt zufrieden, im nächsten bekam sie einen hysterischen Anfall.
»Sarah«, sagte sie leise, »ist doch gut.« Sie gab es auf, Sarahs Finger zu lösen, und hielt sie einfach nur fest an sich gedrückt. »Es passiert dir doch nichts bei mir. Was ist denn los?«
Die Schreie verstummten, allmählich ließen auch die Tränen nach. Chula wiegte Sarah sanft hin und her und summte leise, den Kopf gegen ihr nach Efeu duftendes Haar gedrückt.
Auch hier hinten war Bernadettes Stimme deutlich zu hören. »Diesem Kind gehört mal richtig der Hintern versohlt. Damit es Manieren lernt. Mischt sich ständig in anderer Leute Dinge, spioniert einem nach, und immer am Flennen.«
Chula biss die Zähne zusammen. Die Bastion-Kinder hatten so viel Brutalität erlebt, dass es für ein ganzes Leben reichte. Wenn es nach ihr ginge, würde gegen Sarah nie mehr die Hand erhoben.
»Das kleine Mädchen hat eine schwere Zeit hinter sich«, kam es von Florence. »Wenn das Hinternversohlen wirklich etwas bewirkt, dann sollte man Ihnen mal ein wenig Mitgefühl einbläuen.«
»Ich bin hier, um meine Post abzuholen«, erwiderte Bernadette spitz, »und nicht, um mir von einer Hure schlaue Bemerkungen anzuhören.«
Chula spähte um den Türpfosten. Das Letzte, was New Iberia jetzt brauchte, war eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Frauen. Florence sah tatsächlich so aus, als wollte sie Bernadette sämtliche Haare ausreißen. Sie wandte sich wieder dem Kind zu.
»Sarah, ich muss nach vorn.« Ihr war, als würde sie das Kind damit misshandeln. Sarah hatte sich am ganzen Leib versteift. »Bin gleich wieder da.«
Chula ging zur Tür.
»Bitte!«
Ein alles durchdringender Schrei, der Chula wie ein Speer traf. Sie drehte sich um. Das kleine Mädchen hatte die Hände zu Fäusten geballt, Tränen standen ihr in den Augen.
»Nicht weggehen!« Sie rannte zu Chula, schlang die Arme um ihre Beine und hielt sie fest. »Nicht weggehen! Bitte nicht weggehen!«
Chula musste sich am Türrahmen festhalten. Sie konnte ihre Beine nicht mehr rühren, so fest hatte das Kind seine Arme um sie geschlungen. Florence und Bernadette am Schalter sahen zu ihnen. Florence biss sich vor Mitgefühl auf die Lippen, Bernadette sah aus, als wäre sie in Mehl getaucht worden.
»Sie kann reden!« Florence lächelte.
Bernadette stürmte aus dem Postamt. Die Glocke bimmelte, als sie die Tür so heftig zuwarf, dass die Glasscheiben zitterten.
»Ist ihr der Teufel unter den Rock gefahren?«, fragte Florence amüsiert.
»Ich weiß nicht, und es interessiert mich auch nicht. Florence, kann ich Sie bitten, am Schalter zu bleiben?« Chula hob das Kind hoch. »Die Post ist alphabetisch sortiert. Gehen Sie sie einfach durch, bis Sie Ihre Briefe finden.«
Chula ging mit dem Kind zur Hintertür und trat in die kühle Novemberluft hinaus. Sie und Claudia hatten zwei umgedrehte Coca-Cola-Kästen unter eine Sumpfzypresse gestellt. Dorthin trug sie Sarah und setzte sie ab.
»So, nachdem ich jetzt weiß, dass du reden kannst, wirst du mir ein paar Sachen erzählen müssen.« Sie sagte es mit freundlicher, aber fester Stimme. »Weißt du, wohin deine Mutter gefahren ist, Sarah?«
Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf. »Kommt nicht mehr zurück.«
Chula war sich nicht sicher, ob Sarah damit meinte, dass ihre Mutter nicht mehr zurückkommen würde, oder ob sie sich wünschte, dass sie nicht mehr zurückkam. Warum hatte Bernadette Matthews ihr so einen Schrecken eingejagt? Sarah hatte vor so ziemlich allem Angst, aber zweimal hatte sie sich in die Hose gemacht. Einmal, als Clifton Hebert mit seinen Hunden aus dem Wald aufgetaucht war, und jetzt, als Bernadette im Postamt erschien.
Sie packte Sarahs Hände, löste sie von ihrem Rock und ging vor dem Mädchen in die Hocke, um mit ihr von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. »Sarah, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du bei mir bleiben kannst. Ich werde um dich kämpfen, und ich werde es nicht zulassen, dass dir noch einmal jemand wehtut.«
Sarah lockerte ihren Griff.
»Warum hast du vor Mrs. Matthews solche Angst?«
Sarah runzelte die Stirn. Dann ging ihr Blick an Chula vorbei zur Hintertür des Postamts. »Adele«, sagte sie leise und drängte von ihr fort.
»Oh, Sarah!« Chula drückte sie an
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