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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einem riesigen, geschwungenen Ast baumelte. Der Leichnam war zu klein für einen Erwachsenen, konnte aber gut und gern der einer Vierjährigen sein.
    Er sah sich um, vom Priester fehlte jede Spur. Erst dann bemerkte er im Fenster des Hauses eine schwarz gekleidete Gestalt. Genau wie beim letzten Mal, als Finley angerufen hatte, um Rosa Heberts Selbstmord zu melden. Damals war der Priester im Haus geblieben, während Raymond und der Coroner ihrer Pflicht nachkamen.
    Langsam ging Raymond auf den Baum zu. Er hatte keine andere Wahl, er musste das Laken anheben, um zu sehen, was darunter war. Er hörte das Knarren des Stricks, als der Wind am Leichnam zerrte. Mit tauben Fingern griff er nach dem Laken.
    »Großer Gott«, sagte er und ließ es wieder los. Er drehte sich um und atmete durch. Unter dem Laken befanden sich die Überreste von Kyle Fentons Vogelscheuche. Er ging zum Baumstamm und musste sich setzen. Eine Vogelscheuche, Hemd und Hosen, mit Stroh ausgestopft und an ein Holzkreuz genagelt.
    Als er aufsah, kam ein kreidebleicher Finley auf ihn zu. »Wer ist es?«, fragte er und blieb in einer Entfernung von fünf Metern stehen.
    »Nicht wer, was. Es ist Kyle Fentons Vogelscheuche.«
    Erleichterung spiegelte sich in der Miene des Priesters, die aber schnell von Verärgerung und schließlich von unverhohlenem Zorn abgelöst wurde. »Welcher kleine Dreckskerl spielt mir so einen Streich?« Er ging zum Strick, der um den Stamm gebunden war, und begann daran zu zerren. »Welcher abscheuliche kleine Dreckskerl macht so was?«
    Raymond erhob sich, ging zum Priester und umklammerte dessen Hände, die bereits vom Strick und der rauen Rinde aufgerissen waren. »Schon gut. Schon gut.« Der Priester rang nach Luft.
    »Wer macht so was?« Vater Michael sah zu Raymond, als hätte er wirklich eine Antwort darauf parat.
    »Ich weiß es nicht. Gedankenlose Kinder.« Er löste den Strick und ließ die Vogelscheuche herunter. »Ich werde Pinkney herschicken, damit er aufräumt.«
    »Ich dachte, es wäre Rosa.« Die Knie des Priesters gaben nach, er ließ sich auf die Wurzel nieder, die Raymond soeben verlassen hatte, und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich hab sie im Stich gelassen, Raymond. Ich hab nicht mehr an sie geglaubt, und dann hat sie sich erhängt.«
    Raymond hielt den Strick in Händen und wusste nicht, was er sonst tun sollte. Der Priester tat ihm leid, ein Mann, der genau wie er von einer der Hebert-Schwestern verfolgt wurde.

15
     
     

     
     
     
     

     
    as Zuckerrohr stand hoch im morgendlichen Sonnenlicht, als Raymond in den Hof von Leroy Baxter einbog. Beim Zuckerrohr drängte die Zeit. Die Männer der Familie hätten draußen bei der Ernte sein müssen. Der erste schwere Frost war überfällig.
    In der Hütte mit ihrem Blech- und Teerpappedach herrschte eine ungewöhnliche Stille. Langsam stieg Raymond aus und wartete, dass der Sheriff voranging. Joe Como hielt es für seine Pflicht, mit der Mutter des vermissten Mädchens zu reden. Seit fünfzehn Stunden fehlte von Peat Moss Baxter jede Spur. Joe war Politiker genug, um die Familie wissen zu lassen, dass er persönlich am Fall dran sei.
    »Ich sehe mir das Klohäuschen an«, sagte Raymond. Er wollte sich den Kummer ersparen, dem Joe sich gleich gegenübersehen würde.
    Joe blickte ihn nur hilflos an, stopfte sich das Hemd in die Hose und marschierte auf die Eingangsstufen zu. Er klopfte an. Raymond verschwand hinter der Hütte. Kurz darauf war das Wehklagen von Aimee Baxter zu hören.
    Das Klohäuschen lag knapp zehn Meter hinter der Hütte. Er wusste, dass hier nichts mehr zu finden war. Die Spuren, die es einmal gegeben hatte, waren längst verwischt. Leroy und ein Dutzend andere Männer hatten Cliftons Hunde geholt und verfolgten die Spur des vermissten Kindes. Raymond hatte niemandem gegenüber den ironischen Umstand erwähnt, dass Clifton damit sehr wahrscheinlich Jagd auf seine eigene Schwester machte, unterstützt von eben jenen Hunden, die vermutlich Henri zerfleischt hatten. Trotzdem ergaben die neuesten Entwicklungen für ihn keinen rechten Sinn.
    Denn selbst in ihrem Fieberdelirium würde Adele kein hilfloses kleines Mädchen anfallen. Trotzdem: Peat Moss Baxter war verschwunden, und eine andere Erklärung bot sich nicht an. In der Stadt sprach man bereits davon, dass sich der loup-garou ein weiteres Opfer geholt habe. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Joe verlangte, dass Adele ins Gefängnis zurückgebracht würde. Bislang war der Sheriff vom

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