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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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spät. Ihm fehlt die Hälfte seiner Eingeweide.« Wäre der Junge ein Tier gewesen, hätte er ihm den Gnadenschuss gegeben. »Suchen wir Jimbo und sagen ihm, er soll über Funk einen Sanitäter rufen.« Raymond wusste, es war eine Frage von Minuten, bis der Junge tot sein würde. Er schob sich an seinem Bruder vorbei. »Gehen wir.«
    Nach zwanzig Metern merkte er, dass Antoine ihm nicht folgte. Er drehte sich um. Antoine – seine Stiefel knallten aufs Pflaster – kam auf ihn zugerannt, um zu ihm aufzuschließen. Dann zerriss ein Schuss das Morgenlicht. Antoine stolperte, Verwirrung spiegelte sich in seiner Miene, bevor er auf die Straße stürzte.
    Raymond sah zu dem jungen Deutschen. In der Hand hielt er eine Pistole, im Gesicht sein eisiges Lächeln.
    »He! Raymond!«
    Er sah zu ihm hinüber. Joe stand die Zornesröte im Gesicht.
    »Seit fünf Minuten rede ich mit dir. Was ist los?«
    »Tut mir leid.« Das Lenkrad unter den Händen fühlte sich schmierig an, ein Kälteschauer ging ihm durch Mark und Bein, wie immer, wenn er daran denken musste.
    »Wir sollten Adele nach Lafayette überstellen. Der Sheriff dort wird sie übernehmen.«
    Dagegen war nichts einzuwenden, nur, dass sich Adele nicht in ihrem Gewahrsam befand.
    »Irgendein Problem damit?«, kam es aufbrausend von Joe.
    »Nein.«
    »Dann hol sie. Ich werde Sheriff Burke anrufen und alles in die Wege leiten. Bring sie sofort ins Büro. Ich hab ein paar Fragen an sie.«
    »Klar.« Raymond fühlte sich wie betäubt. Joe zog das übliche Programm ab, dann konnte er allen sagen, er hätte Adele verhört. Bislang war sie nicht lange genug bei Bewusstsein gewesen, um überhaupt irgendwelche Fragen zu beantworten. Aber Joe konnte dann behaupten, er hätte es versucht. Falls nicht jemand sie vorher umbringen würde.
    Raymond hielt vor dem Rathaus und wartete, bis Joe ausgestiegen war. »Bis dann«, sagte er, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Nur Madame und Florence wussten, dass Adele geflüchtet war. Er würde sie finden – bevor man der unschuldigen Frau noch mehr zur Last legen konnte. Er würde sie finden, sie beschützen und dann das tun, was er am besten konnte: Unheil über denjenigen bringen, der verantwortlich war für Adeles Leid.
     
    Mit zitternder Hand ergriff der Priester die Kaffeetasse. Er war fest in Decken gepackt, die Jolene und Colista am offenen Kamin gewärmt hatten, trotzdem wollten die urplötzlich einsetzenden Schüttelfrostanfälle, die ihm durch und durch gingen, nicht nachlassen. Er fror, vor allem aber hatte er Schuld auf sich geladen – und sie auch noch Raymond gegenüber eingestanden, dessen einfühlsame Reaktion darauf ihn noch mehr zermürbte.
    »Wenn Sheriff Joe die Jungen findet, die das gemacht haben, bekommen sie die schlimmste Tracht Prügel ihres Leben.« Colista wickelte ihm eine weitere Decke um die Füße. »So was Grausames, und das einem Mann Gottes.«
    »Die Kinder haben keine Disziplin mehr heutzutage.« Jolene, die seit einer halben Stunde im Arbeitszimmer auf und ab ging, ließ sich schließlich auf einem der Stühle am Kamin nieder. »Haben Sie irgendeine Vermutung, wer es gewesen sein könnte?«
    Der Priester schüttelte den Kopf, dann räusperte er sich. »Nein.« Er brachte nur ein Krächzen zustande. »Ich hätte zum Baum gehen und es mir erst anschauen sollen, bevor ich irgendjemanden verständigt habe. Ich habe Rosa erneut im Stich gelassen.«
    »Reden Sie doch keinen Unsinn, Vater Michael. Jeder, der so eine Gestalt an einem Baum hängen sieht, würde die Polizei rufen. Jeder …« Jolene wurde von der Türklingel unterbrochen.
    Colista eilte hinaus, während der Priester noch tiefer in seine Decken sank. Er hatte nicht das geringste Bedürfnis, mit irgendjemandem zu reden. Er wünschte, Jolene und Colista würden ihn in seiner Schande allein lassen, damit er sich winden konnte vor Verbitterung über seine eigene Feigheit.
    »Vater Finley ist nicht wohl.«
    Er hörte Colistas scharfen Tonfall, dem er entnehmen konnte, dass der Besucher sich nicht so leicht abwimmeln lassen wollte. Kurz darauf hörte er, wie die Eingangstür zugeworfen wurde, dann näherten sich schlurfende Schritte seinem Arbeitszimmer.
    Die Tür ging auf, Marguerite Bastion erschien. Vor ihr krümmten sich ihre beiden Jungen, denen sie jeweils mit einer Hand die Ohren langzog. »Sagt es ihm!« Schmerzhaft zerrte sie an den Ohren.
    »Es tut uns leid, Vater. Wir haben die Vogelscheuche aufgehängt«, presste der kleinere der Jungen

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