Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
seiner alteingesessenen Bostoner Familie verabschiedet, in dem Glauben, irgendwann einer Gemeinde in Irland zugewiesen zu werden, wo die Wurzeln seiner Familie lagen. Der Schwerpunkt seiner Studien und Interessen hatte der Gewalt gegolten, die Nordirland wie eine Pest heimsuchte und den Bruder gegen den eigenen Bruder aufstachelte. Stattdessen war er in die dunklen Sümpfe geschickt worden, deren Sprache, Kultur und Tradition ihm völlig fremd waren.
In den zehn Jahren, in denen er nun der Kirche St. Peter als Priester diente, hatte er mehr Fragen als Antworten erhalten. Bis Rosa auftauchte. Rosa Hebert war ein Geschenk Gottes gewesen, eine Botin, direkt zu ihm gesandt, ein Zeichen, dass Gott ihn und die Menschen im Süden von Louisiana nicht vergessen hatte. Rosa mit ihrem fürchterlichen Leiden und ihren wundersamen Wundmalen wäre der unwiderlegbare Beweis von Gottes Liebe und Existenz gewesen, für ihn und die Gemeinde. Oder hätte es sein sollen.
Rom hatte es anders gesehen.
Der Vatikan hatte sich quergestellt, hatte einen Grund nach dem anderen gefunden, um das Wunder nicht untersuchen zu müssen, hatte seine Einwilligung verweigert, ja hatte es noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Während die Kardinäle darüber debattierten, ob Rosa Hebert wirklich auserwählt sei, Jesu Wunden an sich zu haben, verschlimmerte sich ihr Zustand immer mehr. Schließlich waren mit Rosas Zweifeln auch seine eigenen gewachsen.
Er hatte es kommen sehen, war aber nicht fähig gewesen, ihr Trost und Kraft zu spenden, um allem Einhalt zu gebieten. So sehr war er damit beschäftigt, sich voreilig in ihrem kommenden Ruhm zu sonnen, dass er ihr nicht hatte helfen können. Er hatte sie im Stich gelassen, hatte sich selbst im Stich gelassen und damit auch Gott.
Er holte vom Schreibtisch Stift und Papier und kehrte an den Kamin zurück, um sich die Füße zu wärmen. Das Pfarrhaus war zugig und kalt, aber die Kälte war besser als die sommerliche Hitze. Sogar sein Verstand funktionierte in den kühlen Monaten besser.
Er machte sich einige Notizen und hielt inne, als er am Fenster ein Klopfen hörte. Er blickte auf. Niemand war zu sehen. So widmete er sich wieder seiner Arbeit, mit der Konzentration allerdings war es dahin. Gedanken an Rosa hatten ihm in letzter Zeit mehr als üblich zugesetzt. Adeles angebliche Verwandlung in einen loup-garou war doch nichts anderes als eine Verhöhnung von Rosa und ihrem wahren Leiden. Der Teufel konnte sich tatsächlich zu erkennen geben, das wusste er so sicher, wie er wusste, dass Gott die Hände einer Frau mit Wundmalen schlagen konnte. Was er nicht einzuschätzen vermochte, war, ob Adele nur ein Ausbund des rachsüchtigen Teufels war oder, wie Raymond meinte, einfach eine Frau, die von Schmerz und Fieber irregeleitet worden war.
Als er Scherben klirren hörte, stand er auf. Er trat ans Fenster seines Arbeitszimmers und sah hinaus in den Garten. Der Mond, obwohl nicht voll, leuchtete hell, und in seinem Schein waren die Wege zu erkennen, die durch die verblühenden Rosen führten. Eine weitere kühle Nacht, und es wäre mit ihnen vorbei. Die Mother’s-Rosen schimmerten in silbernen Grautönen.
Alles schien wie sonst, aber er hatte ganz klar gehört, wie etwas zu Bruch gegangen war. Der Wind war nicht stark genug, um einen Blumentopf umzuwerfen. Er legte Stift und Papier zur Seite und ging zur Hintertür.
»Colista?« Sie war früher gegangen, um sich zu Hause auf Halloween vorzubereiten. Vielleicht war sie ja zurückgekommen. »Colista?«
Niemand antwortete. Die Leere im Haus ließ ihn plötzlich frösteln. Er öffnete die Hintertür und blieb auf der Schwelle stehen. Wenn jemand im Garten war, dann sah er ihn nicht.
Dann erinnerte er sich, dass Halloween war. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte einer der Jungen beschlossen, ihm einen Streich zu spielen. Er lächelte und trat auf den Gartenweg, der mit noch von Sklaven gebrannten Ziegeln gepflastert war.
Ein Windstoß blies ihm seine Robe gegen die Beine, gleichzeitig hörte er das Quietschen des Gartentores an den verrosteten Angeln, ein Geräusch, das ihm durch und durch ging. Sein erster Impuls war, umzukehren und zurück ins Haus zu laufen. Genau das, worauf es der Bengel wohl abgesehen hatte.
Mit durchgestreckter Brust und festen Schritten ging er zum Gartentor, um es zu schließen. Als er das kalte Eisen berührte, fiel sein Blick auf die dahinterstehende Eiche.
Ein Schrei entfuhr ihm beim Anblick der in ein Laken
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