Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Raymond mit Florence nach Baton Rouge gefahren sein sollte, aber wenn, dann hatte er wohl einen guten Grund dafür. »Sagen Sie Joe, ich werde telefonisch versuchen, John zu finden.«
»Umso früher, desto besser.« Er zog ein Messer aus der Hosentasche und kratzte sich damit an einer rauen Stelle der Hand. »Hab da einen Splitter, der nicht raus will. Vielleicht fahr ich zu Madame Louiselle, mal sehen, was sie tun kann. Irgendwie hab ich so das Gefühl, dass sie mir bei einigen Dingen helfen könnte.«
Chula legte die Briefe auf den Schalter. Ihre Hände wurden feucht. »Wenn Sie John sofort brauchen, dann versuchen Sie es doch bei Aimee Baxter. Er hat gesagt, er will mit ihr über das Verschwinden von Peat Moss reden.« Die Baxters wohnten auf der anderen Seite der Gemeinde, und im Umkreis von drei Meilen gab es kein einziges Telefon. Sie musste Praytor von Madame Louiselle weglocken.
Vom hinteren Raum war Claudia zu hören, die sich die Nase putzte. Kurz darauf kam ihre Kollegin mit gerötetem Gesicht wieder nach vorn. »Ich kann den Schalter übernehmen, wenn du Mr. LeDeux finden musst«, sagte sie.
»Soll ich ihn für Sie holen, Praytor, oder schaffen Sie das auch allein?«
»Danke, Miss Chula. Das schaff ich schon allein. Joe klang, als wäre es ziemlich eilig.« Praytor tippte sich an den Hut, während er die Tür öffnete.
»Sagen Sie John bitte, er soll mich anrufen oder vorbeikommen, wenn die Sache mit dem Sheriff erledigt ist.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sich ihre Lippen ganz taub anfühlten.
Die Glocke bimmelte, als Praytor ging.
»Chula, alles in Ordnung?«, fragte Claudia. »Du bist ja kreidebleich.«
»Ich hab kein gutes Gefühl.« Sie musste sich mit beiden Händen auf dem Schalter abstützen. Die Suche nach Peat Moss, Praytors Auftauchen, Madames Abwesenheit, die Tatsache, dass Raymond zu einem so entscheidenden Zeitpunkt die Stadt verließ – das alles erfüllte sie mit großer Sorge. Sie spürte, dass Unheil die Grenzen der Gemeinde überschritten hatte und sich unaufhaltsam der Stadt näherte.
Mit verkniffenem Gesicht und zitternden Händen räumte Colista das Geschirr ab. Der Priester saß den Bastion-Jungen gegenüber und fragte sich, welche Prüfung ihm hier auferlegt wurde. Sie waren noch nicht lange bei ihm, aber er war mit seinem Latein am Ende. Die Jungen waren Wilde. Ihm war sogar der Gedanke gekommen, dass der Heilige Stuhl, nachdem er noch nicht einmal seine Stigmatisierte anerkennen wollte, niemals zustimmen würde, die beiden Jungen zu exorzieren.
Er legte die Serviette auf den Tisch. »Ich hab jemanden zu euch nach Hause geschickt, um mit eurer Mutter zu reden.« Er fragte sich, ob Jolene tapfer oder einfach nur verrückt gewesen war, als sie sich anerboten hatte, mit Marguerite zu sprechen. Schließlich war diese die Mutter der Jungen und hatte ihnen gegenüber gewisse Pflichten – falls Jolene ihr das verständlich machen konnte.
»Bringt nichts.« Der ältere der Jungen, Caleb, schlug mit dem Löffel gegen die leere Suppenschüssel. »Daddy hat gesagt, wir müssen ihr nicht folgen, ihr und ihrem hochnäsigen Gehabe. Ich hab noch Hunger.«
Der Priester packte ihn am Handgelenk. »Hör auf damit!«
»Sie sind nicht mein Daddy, und ich muss Ihnen nicht gehorchen. Sie sind nur eine alte Jungfer in einem Kittel.« Caleb lachte laut auf, sein Bruder Nathaniel fiel mit ein.
»Eure Mutter will euch in eine Besserungsanstalt schicken. Hätte ich nicht euch zuliebe eingegriffen, wärt ihr jetzt dort.« Ihnen mit Drohungen zu kommen war nutzlos, wie er einsehen musste. »Besserungsanstalten sind schreckliche Orte. Den Kindern werden dort fürchterliche Dinge angetan.«
»Ich will Kuchen.« Nathaniel sah sich im Esszimmer um. »Gibt’s hier irgendwo Kuchen?«
Der Priester hütete sich, nach Colista zu rufen. Sie war mit ihren Kräften am Ende. Caleb hatte ihr mit einer Brotscheibe ins Gesicht geschlagen, und Nathaniel hatte Suppe auf den Boden geschüttet. Der Priester fühlte sich den Jungen gegenüber hilflos. Noch nie waren ihm solche Ungezogenheit und mutwillige Boshaftigkeit untergekommen.
»Es gibt keinen Kuchen, aber wenn ihr etwas bessere Manieren an den Tag legt, wird euch Colista morgen vielleicht einen backen.«
»Ich will jetzt einen.« Nathaniel schob sein Glas Milch über den Tisch.
»Wenn du die Milch verschüttest, werde ich dich bestrafen.« Der Priester wusste, er musste Grenzen setzen. Es gab jetzt kein Zurück mehr.
»Sie wollen
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