Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
gab.
Madame Louiselle würde ihm bei der Identifizierung der Gewächse helfen. Es schien möglich, dass Adeles seltsames Verhalten auf etwas zurückzuführen war, das hier in Bastions Garten wuchs. Überrascht musste er feststellen, dass sich zwischen seinen Schulterblättern eine unvertraute Spannung bemerkbar machte: Er verspürte Hoffnung. Wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass etwas aus diesem Garten verantwortlich war … er konnte es kaum glauben. Aber wenn es so sein sollte, dann hätte er das wie . Alles, was es dann noch herauszufinden galt, war die Frage nach dem wer .
Raymond raste in die Stadt, die Schüssel mit den Kräutern neben sich auf dem Beifahrersitz. Auf dem Weg zu Florence’ Haus sah er Chula mit einem Postsack aus dem Postamt kommen.
Er bremste ab und hielt neben ihr an. »Chula, fährst du zufällig zu Madame Louiselle?«
»Möglich.« Sie lehnte sich auf die Fahrertür. »Was hast du da?« Sie zeigte auf die Schüssel.
»Wenn du zu Madame fahren solltest, könntest du ihr das bringen? Würde mir eine Menge Zeit sparen.«
»Gib her.« Sie fasste in den Wagen. »Ich muss sowieso mal wieder bei ihr vorbeischauen.«
Raymond zögerte. »Danke, Chula.«
»Freut mich, wenn ich helfen kann.« Sie stützte die Schüssel auf ihrer Hüfte ab. »Ob’s dir passt oder nicht, Raymond, aber ich halte immer noch große Stücke auf dich.«
Sie drehte sich um, ließ ihn in seinem Wagen zurück und überquerte die Straße, der Postsack schwang an ihrer Seite, die Schüssel hielt sie an die Hüfte gepresst.
Raymond drückte das Gaspedal durch. Chula Baker hatte das arrogante Gehabe ihrer Mutter geerbt, trotzdem verzogen sich seine Mundwinkel unweigerlich zu einem Lächeln. Er musste seinem Schicksal danken, sie zur Verbündeten zu haben, nicht als Gegnerin.
Durch Chulas Gefallen hatte er jetzt mehr Zeit für die Suche nach Armand Dugas. Raymond wusste, dass die Hoffnung ihren Preis hatte, aber zugleich war er davon überzeugt, dass der Sträfling nicht nur noch am Leben war, sondern auch gewisse Dinge wusste, die möglicherweise Adeles Unschuld beweisen konnten.
Florence genoss die kühle Luft, die durch das offene Seitenfenster strömte. Mit einer Hand hielt sie ihre Haare fest, damit ihr die dunklen Locken nicht ins Gesicht wehten. Sie wagte kaum, zu Raymond am Steuer hinüberzublicken. Er war unnahbar und noch angespannter als sonst. Die Last, die er zu tragen hatte – es ging um Adele, wie sie wusste –, bedrückte ihn zunehmend. Raymond hatte sich die Verantwortung für Adele aufgeladen, sein Schicksal war jetzt untrennbar mit dem ihren verbunden, egal, was geschehen mochte. In vielem war er dadurch sanfter, aber auch distanzierter geworden.
Seine Einladung, mit ihm nach Baton Rouge zu fahren, war so unerwartet gekommen, dass ihr noch nicht einmal eingefallen war, ihn nach dem Grund dafür zu fragen. Es musste etwas Offizielles sein, denn sie waren im Streifenwagen unterwegs, mit Benzin, das mit County-Marken bezahlt wurde. Aber auch wenn es um Offizielles ging, würde sie doch sicherlich auch ihren Spaß haben. Warum hätte er sie sonst eingeladen?
Sie trug ein rotes langärmeliges Top, dazu einen engen schwarzen Rock, genau die Kleidung für die Frau, die in der Hauptstadt des Bundesstaates einkaufen wollte – falls sie einkaufen wollte. Oder vielleicht zum Essen oder ins Kino ging oder gar zu einer Live-Show in einem der exklusiven Nachtclubs.
Die Sümpfe erstreckten sich zu beiden Seiten wie ein Meer aus Gras. Der Himmel war wolkenlos und blau, es roch nach totem Fisch und Schlamm. Doch hinter diesem Anblick, den sie so gut kannte, sah sie eine andere Wirklichkeit. Am Horizont schwebte ein anderes Bild, ein kleines Haus im Schatten, in einem respektablen Viertel, mit Läden an den Fenstern und einem Garten. Sie fuhr nach Baton Rouge – und der Zukunft entgegen, die sie sich erträumte – mit dem Mann, den sie liebte. Es war der erste Schritt in diese Richtung, ganz bestimmt.
Als sie endlich zu Raymond sah, bemerkte sie um seinen Mund herum eine Härte, die sie beunruhigte. Es musste sehr, sehr bitter sein, worauf er herumkaute. Aber wenn er mit dem offiziellen Teil fertig war, würde er sich besser fühlen. Sie würde schon dafür sorgen.
»Irgendwas Neues von dem vermissten Kind?«, fragte sie.
Raymond sah zu ihr, als wüsste er nicht, wer sie war. Er blinzelte. »Joe hat eine Suchmannschaft losgeschickt. Clifton Hebert führt eine weitere an.«
»Glaubst du,
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