Im Netz der Angst
Willst du mir erzählen, du seist urplötzlich nicht mehr multitaskingfähig?«
Elises Lächeln wurde breiter. »Ich habe neulich einen Bericht darüber gelesen. Multitasking ist schlecht für das Gehirn. Also zeige ich mich einsichtig und bin bestrebt, mich zu bessern. Ich finde, du solltest sie anrufen, während ich fahre – quasi als Unterstützung auf meiner Reise, zu einem besseren Menschen zu werden. Das ist doch das Mindeste, was du als Freund und Partner für mich tun kannst.«
»Du weißt schon, dass Sarkasmus immer seinesgleichen sucht?« Josh rief die Liste seiner letzten Gespräche auf.
»Nur einer der vielen Gründe, warum du mich liebst«, erwiderte Elise.
Er musste unfreiwillig lachen. Sie hatte recht. »Also, dann verrate mir mal, warum du so scharf drauf bist, mich mit dem Fräulein Doktor zusammenzubringen. Bist du der Meinung, ich könnte einige kostenlose Dienste von ihr gebrauchen?«
»Ich hab einfach ein gutes Gefühl bei ihr.«
»Ein gutes Gefühl? Das ist alles?«
»Ja.«
»Ich soll sie anrufen, weil du ein gutes Gefühl hast?«, wiederholte er. »Das ist so was von typisch Frau, Jacobs! Ich kann nicht fassen, dass du das wirklich gesagt hast!«
»Tja, ich bin übrigens eine Frau, falls es dir noch nicht aufgefallen ist«, antwortete Elise. »Also, ruf sie an.«
»Na schön«, gab sich Josh murrend geschlagen. »Aber zuerst melde ich mich beim Revier zurück.«
»Demonstriere deine Männlichkeit so, wie du es für angebracht hältst.« Elise wechselte auf die linke Spur. »Kommt dir Dr. Gannon eigentlich auch irgendwie bekannt vor? Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich sie nicht schon mal irgendwo gesehen oder von ihr gehört habe.«
»Nein«, sagte Josh und wählte eine Nummer. »Und ich bin mir sicher, dass ich mich an sie erinnern könnte.«
Elise grinste. »Also findest du sie doch niedlich.«
Niedlich passte nicht zu Dr. Aimee Gannon. Außerdem brachte ihn »niedlich« nicht besonders in Wallungen. Aber Dr. Gannon? Die schon, und wie. Er wünschte nur, sie würde verdammt noch mal damit aufhören. Denn er konnte im Moment wirklich keine Ablenkung gebrauchen.
Elises Handy summte. »Jacobs«, meldete sie sich und hörte dann kurz zu. »Wir werden so schnell wie möglich da sein.« Sie klappte das Telefon zu und lächelte Josh an. »Nachdem wir uns um die Tante und die Therapeutin gekümmert haben, schauen wir uns an, was unser Computergenie Maribel auf Taylor Dawkins Laptop gefunden hat.«
Sean Walters Vater überbrachte ihm die Nachricht zuerst, bevor er die anderen Büromitarbeiter der Dawkin-Walter Web Consultants GmbH in den Konferenzraum bestellte. Carl Walter hatte die Firma vor über zehn Jahren gemeinsam mit Orrin Dawkin gegründet. Er wollte Sean etwas Zeit geben, sich zu sammeln, bevor hier alles drunter und drüber ging. Als wäre das nicht schon längst geschehen.
Verdammt, wie sehr sich Sean wünschte, es würde ihn nicht derartig stolz machen, dass sich sein Vater zuerst ihm anvertraut hatte. Es hatte ihm geschmeichelt und ihn gleichzeitig ein wenig beunruhigt. Er musterte seinen Vater prüfend. Wusste er vielleicht mehr, als er durchblicken ließ?
Sein Vater wusste immer mehr, als er durchblicken ließ. Carl war stets über jedes Geheimnis, jeden Makel, jeden Fehltritt im Bilde. Warum sollte es in diesem Fall anders sein?
»Was ist mit Taylor?« Sean sprach betont ruhig, was nicht einfach war, weil ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er wusste, wie er klingen sollte. Besorgt. Mitfühlend. Er hatte sich selbst die richtige Tonlage und die entsprechende Mimik beigebracht. Leichtes Stirnrunzeln. Den Kopf unmerklich zur Seite neigen. Er hatte andere Menschen beobachtet und stundenlang vor dem Spiegel geübt, so wie sie auszusehen.
Carl setzte ebenfalls eine besorgte Miene auf, fast war es, als ob Sean in den Spiegel schauen würde. Dieselben Sorgenfalten auf der Stirn. Die leichte Schräglage des Kopfes. Derselbe dichte, hellbraune Haarschopf. Er fragte sich, ob sein Vater ebenfalls vor dem Spiegel geübt hatte, so wie er selbst.
»Marian sagt, sie stünde immer noch unter Schock. Sie spricht mit niemandem. Wahrscheinlich wird sie in einer Anstalt untergebracht werden, zumindest vorläufig.«
Sean konnte nur nicken, so erleichtert war er. Dann kam die Scham, so wie immer.
Als Nächstes stürzten bange Fragen auf ihn ein. Würde Taylor doch wieder sprechen? Wann? Was würde sie sagen?
Sean folgte seinem Vater in den Konferenzraum, in dem sich die Belegschaft
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