Im Netz der Meister 2
greifen zu können, wenn dir danach ist?« Gerald überlegte einen Moment. »Na ja. Ist nicht schlecht«, sagte er und grinste. Simone entschied sich für ihre enge Levis, einen ärmellosen weißen Rolli, High Heels und eine Lederjacke.
»Guck, das ist lässig, sexy und bequem. Und es ist nicht schwarz. Soll ich das anziehen?«
»Deine Oma hatte Recht«, sagte Gerald.
»Was meinst du damit?«
»Ihr zieht euch nicht für euren Mann an, sondern für die anderen Weiber.« Simone guckte verständnislos.
»Ich habe dir vor drei Minuten gesagt, dass ich es nicht schlecht finde, unten ohne, Bluse und Rock. Und prompt ziehst du Jeans an.« Simone antwortete mit einem Lächeln, das ein bisschen schief wirkte.
Der Saal war schon sehr voll, als sie ankamen.
»Gerald, wie sollen wir hier jemanden finden? Das sind mindestens zweihundert Leute!« Um die Tanzfläche waren Stehtische gruppiert, in offenen Nebenräumen gab es Sitzgruppen.
Simone und Gerald drängelten sich an die Bar und bestellten zwei Kölsch. Von hier aus konnten sie sehen, wer ankam. Gerald sah sich nach Anna-Karen-Ina und Tolstoi um, Simone versuchte, Kalle und Ute zu entdecken. Ein großer Mann mit Brille und blanker Glatze stand in der Nähe des Eingangs. Er trug einen Smoking mit Fliege und hatte einen weißen Seidenschal umgelegt, außerdem schwenkte er einen elfenbeinfarbenen Spazierstock am Griff hin und her.
»Wer ist denn das, Graf Koks?« kicherte Gerald.
»Ich glaube, das ist mein Schriftsteller, Egon Erwin Putzlitzer, ich geh mal rüber.« Simone lächelte dem Glatzkopf freundlich zu. Er sah sie kühl an und zog die linke seiner buschigen Augenbrauen hoch. Simone streckte die Hand aus, um ihn zu begrüßen und sagte: »Du bist bestimmt der Schriftsteller! Hallo, ich bin Simone, du weißt schon, Chatterley!«
Der Mann gab ihr schlaff seine Rechte, mit der Linken stützte er sich nun auf seinen Spazierstock. Er näselte: »Erstens: Ja. Zweitens: Wer?«
»Wie bitte?«
Er lächelte gequält: »Erstens: Ja, ich bin Schriftsteller. Ob ich der Schriftsteller bin, sei dahingestellt. Zweitens: Wer bitte sind Sie?«
»Was ist denn das für ein Spiel? Wir sind verabredet, Putzlitzer, ich bin Chatterley, wir mailen seit Wochen, du wolltest mir dein Buch mitbringen und es signieren.«
Die Augenbraue zuckte noch ein Stück höher. »Putzlitzer? Ich glaube, Sie verwechseln da etwas und jemanden. Mich mit Pulitzer – Sie verstehen, ohne das zweite t – zu verwechseln, ist absurd. Wenn Sie gestatten: Mein Name ist Leviathan Herbstblatt. Und mein Werk heißt ›Annalen einer patriarchalischen Symbiose‹.« Die Augenbraue sackte wieder runter.
Was ist denn das für ein Knabe?, dachte Simone und sagte beherrscht: »Tut mir leid, wenn ich Sie verwechsle, aber ich bin mit dem Schriftsteller, der den Nick Putzlitzer hat, verabredet. Er ist groß, schlank und hat, na ja, dieselbe Frisur wie Sie. Ich habe ein Bild von ihm gesehen und dachte Sie wären er. Nichts für ungut, Herr Herbstblatt, es war einfach ein Irrtum. Aber vielleicht unterhalten wir uns mal beruflich?«
Zack. Die Augenbraue schnellte wieder hoch, der Spazierstock schaukelte hin und her.
»In welchem Zusammenhang?«
»Nun, ich habe eine Buchhandlung. Vielleicht nehme ich ihr Werk in mein Sortiment auf. Wo sind die ›Annalen einer patriarchalischen Symbiose‹ erschienen?«
Der Spazierstock schaukelte heftig. Die Augenbraue schaffte es bis zur Mitte der Stirn. »Ähem. Im Kölner Herbstblatt-Verlag.«
Simone lachte. »Verstehe. Eigenverlag. Nein, solche Werke vertreibe ich natürlich nicht, aber trotzdem: Schönen Abend noch.« Sie murmelte: »Arroganter Pisser!« und ging zurück zur Bar.
Gerald stand dort mit einem Paar, und obwohl die Frau ihr den Rücken zudrehte, erkannte Simone Anna-Karen-Ina sofort: Sie überragte die meisten Umstehenden, war sogar größer als Gerald, und ihr helles superkurzes Haar fiel auf. Der Mann neben ihr war viel kleiner als sie, trug eine Pony-Frisur und eine Brille mit türkisfarbenem Rand.
»Ihr müsst Anna Karenina und Tolstoi sein«, sagte Simone, als sie die drei erreicht hatte. Anna drehte sich langsam um und blickte mit grünen Augen auf sie herab.
Scheiße, sieht die gut aus!, dachte Simone. Anna lächelte breit, zeigte dabei ein perfektes Gebiss, und Simone bemerkte, dass ihr Lippenstift genau zu Bluse und Ohrringen passte. Als Simone ihr die Hand gab, dachte sie, dass ein halbes Pfund Mett sich so ähnlich anfühlte wie Annas Rechte.
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