Im Netz der Meister 2
»N’Abend zusammen, ich bin Simone. Schön, dich endlich mal live zu sehen.« Anna lächelte und sagte nichts.
Tolstoi war gesprächiger: »Hast du gesehn, Simone, ich darf doch Simone sagen, oder möchtest du, dass ich Chatterley sage? Simone ist okay? Okay. Ich bin Leo, eigentlich Rolf, nenn mich aber bitte Leo, also was ich sagen wollte: Hast du gesehn, was für’n Volk hier rumläuft?« Simone guckte sich die Leute an. Dabei hielt sie Ausschau nach Kalle, Ute und Putzlitzer, konnte aber niemanden erkennen. »Volk?«
Tolstoi streckte seinen Kopf beim Reden vor und schwenkte ihn hin und her. Simone dachte spontan an die Schildkröte, die ihre Tochter Julia mal gehabt hatte.
»Kein bisschen chic, manche richtig unästhetisch, schäbig, kein Pep. Ihr seid die einzige Ausnahme, die ich sehe, nee, wirklich, kein Scherz, ich mein das so, ich sag immer was ich meine, aber guck dich doch mal um. Wenn man zum Chattertreffen geht, sieht man doch zu, dass man nach was aussieht, oder?«
Simone musterte Leo. Er trug ein schwarzes Sakko mit rotem Futter, ein Lacoste-Polohemd und Boss-Jeans mit einem Gucci-Gürtel. Leos Haar war flott in die Stirn geföhnt, das weiche Dreifachkinn fiel unter dem Dreitagebart kaum auf, die Falten um die Augen verschwanden hinter der Brille.
Er fasste sie am Arm an und zog sie nah an sich heran. »Die da drüben, die Blonde, die geht ja. Siehste die? Das ist ein Fürstenberg Kleid, dreihundert kost’ das, wenn’s echt ist, aber ich denk, es ist echt, es sitzt zu gut für ne Kopie, du hast n tolles Parfüm, was ist das, Fendi?«
»Chanel Nr. fünf«, sagte Simone automatisch und drehte sich weg, um seinem Mundgeruch auszuweichen. Meine Güte, war das ein Typ.
Sie sah zu Gerald und Anna hinüber. Anna saß jetzt auf einem Hocker, und er stand dicht neben ihr; die beiden redeten leise miteinander und sahen sich dabei unentwegt in die Augen. Leo sagte: »Simone, was machst’n du beruflich, wenn ich fragen darf, ich bin immer so direkt, weißt du, sag immer, was ich denke, immer frei raus. Meine Kunden mögen das.«
Er schwieg einen Moment und Simone war sicher, dass er auf ihre Aufforderung wartete, mehr von sich zu erzählen. Sie fragte nicht, aber er erzählte es trotzdem: »Ich hab ne Metzgerei in Aachen. Familienbetrieb, dritte Generation. Wurst- und Fleischwaren aus eigener Herstellung, Partyservice und Catering. Vier Feste, drei Aushilfen. Eins a Lage, Fußgängerzone. Läuft super, super, sag ich dir, super. Seit BSE haben wir Mörderumsatz, jaja, die Leute kaufen beim Fleischer ihres Vertrauens, und wir sind Fachbetrieb, dritte Gen ...«
Simone unterbrach ihn: »Und deine Begleiterin?«
»Wie?«
Sie wies mit dem Kopf zu Anna und Gerald hinüber, die nun so dicht zusammenstanden, dass keine Hand mehr dazwischen gepasst hätte.
»Anna! Also eigentlich heißt sie Heidi, aber sie will nicht, dass das einer weiß. Im Internet nennt sie sich Anna, als Abkürzung ihres Nicks, und wenn sie versaute Sachen schreibt, du weißt schon, Cybersex, CS, dann unterschreibt sie das mit Zoe.«
Simone war kaum erstaunt über Leos Indiskretion. Er fuhr fort: »Anna ist eigentlich Friseuse, Meisterbrief mit allem Pipapo, aber: zwei Kinder, geschieden, das übliche Drama, jetzt arbeitet sie nur noch, na, sagen wir mal, privat. Weißt du eigentlich, wie viele Frauen im Internet nen Mann suchen, der sie aus Hartz IV rausholt?«
»Nein. Ich lern eher selten Frauen kennen.«
Leo grinste, machte mit dem Kopf wieder diese Bewegung wie eine Schildkröte, die neugierig aus ihrem Panzer lugt, und rückte seine Brille zurecht. »Kein bisschen bi, hm?«
Simone schob seine Hand weg, die er ihr vertraulich auf den Arm gelegt hatte. »Nein!« Sie beobachte aus dem Augenwinkel, dass Gerald Anna einen Handkuss gab. Er hörte und hörte nicht auf, dieser Handkuss, und er war jetzt nicht mehr nur angedeutet.
Simone wandte sich ab. Leo hatte irgendwas gesagt, sie hatte nicht zugehört. »Wie bitte?«
»Hey, Madame, noch n Kölsch?«
Sie nickte. Wo blieben bloß Kalle und Ute und Putzlitzer? Der Aachener Fleischer war echt nicht ihr Fall. Was fand ein Superweib wie Anna an dem? Leo ging zur Theke, stellte sich neben Gerald und Anna, beachtete beide aber demonstrativ nicht, sondern wartete auf seine Getränke und sah sich dabei im Raum um. Als sein Blick Simone traf, kamen wieder der grazile Krötenschwenk und der Griff an die Brille. Ob das ein nervöser Tick war?
Anna saß nun breitbeinig auf dem Barhocker,
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