Im Netz der Meister (German Edition)
hinterlassen. Er wollte mit ihr telefonieren.
Sie sollte ihm im Laufe des Abends eine SMS schreiben, er würde dann zurückrufen. Sie musste ihn nach Karin fragen.
Simone beeilte sich, das Geschäft abzuschließen und heimzufahren. Es gab eine Menge im Haushalt zu tun, bevor sie den Hund als Ausrede für einen Spaziergang nehmen würde, um währenddessen mit Karel zu telefonieren.
Zwar hielten Julia und Jenny ihre Zimmer selbst in Ordnung, aber das war’s dann auch. Schon oft hatte Simone sich eine Putzhilfe gewünscht, aber das Familienbudget gab solchen Luxus zurzeit nicht her. Sie würde heute Pizzen in den Backofen schieben und einen Salat dazu machen, es musste ja nicht jeden Tag Gesundes auf den Tisch kommen.
Wie oft hatte sie sich nach der Arbeit noch abgehetzt, um einzukaufen und später zu kochen – und dann kam Gerald spät und die Mädchen hatten keinen Hunger oder ihr »Gesundfutter« schmeckte niemandem. Irgendwann verlor sie eben auch mal die Lust.
Simone wunderte sich, als sie in die Neubausiedlung einbog und Geralds Auto in der Einfahrt stehen sah.
Er ist schon zu Hause, so ein Mist , dachte sie. Sie musste Karel eine SMS schreiben, um Bescheid zu geben, dass es mit dem Anruf nichts werden würde. Schlecht gelaunt schloss Simone die Haustür auf. Sie gab Gerald einen spitzen Kuss auf den Mund und vermied es, ihn anzusehen. Warum war er schon zu Hause? Ahnte er etwas? Hatte Karin was erzählt? Aber nein, wie denn, wann denn, wo hätte er sie treffen können? Hatte Britta aus Berlin angerufen und sich irgendwie verplappert?
Nein. Gerald ahnte nichts. Er feierte Überstunden ab, von denen er reichlich angesammelt hatte. Und er hatte den Tisch gedeckt und Simones Lieblingsgericht gekocht: gedünsteten Lachs auf Blattspinat mit Reibekuchen. Sie fühlte sich schlecht. Weil sie dauernd ein schlechtes Gewissen hatte. Weil sie keine Lust auf ein schlechtes Gewissen hatte, denn es war schließlich kein Betrug, nichts Verbotenes, ein wenig im Netz zu chatten, oder? Und die Geschichte mit Boris war ja längst vorbei und lag Monate zurück. Sie zählte nicht.
Simone schloss sich mit ihrem Handy im Bad ein und schrieb an Karel: »Kann leider nicht telefonieren. Ehemann. Melde mich wieder.« Karel würde es verstehen.
Der Abend schien unendlich lang, und Simone hörte den Gesprächen am Tisch nur unkonzentriert zu. Julia schnatterte ununterbrochen, erzählte von der Schule und schwärmte von irgendwelcher Musik, die Simone nicht kannte. Jenny stocherte mit dem Gesichtsausdruck »Ich mag eben keinen Fisch« in ihrem Essen herum und kaute dabei auf einer Haarsträhne. Gerald schien beleidigt, weil niemand sein Essen würdigte. Die Stimmung war verkrampft, und Simone fühlte sich schuldig daran.
Später, nach der Talkshow im Fernsehen, räkelte Gerald sich in seinem Sessel und sagte mit verschwörerischer Stimme: »Zaubermaus. Wie wär’s, wenn wir ins Bett gehen und es uns gemütlich machen würden?«
Simone schluckte. »Ach Gerald, es ist schon so spät, und ich muss morgen früher in den Laden. Heute bitte nicht.«
»Verstehe«, sagte Gerald und stand auf. Seine Miene sprach Bände. In der Tür drehte er sich noch mal um. »Wir müssen darüber reden, Simone.«
»Wie meinst du das?« Sie hörte den bestürzten Ton in ihrer eigenen Stimme. Ahnte er doch etwas? Wusste er von ihren Flirts?
»Ich bin auch nur ein Mann, Simone. Und ich hab Sehnsucht nach dir.«
Erleichtert atmete sie auf. Ach so. Es war Mittwoch. Er wusste nichts, er wollte nur die obligatorische Nummer. Okay, dann sollte er sie haben. Simone hatte inzwischen gelernt, ihre wilden Fantasien für den ehelichen Beischlaf zu nutzen. Und solange Gerald das Gefühl hatte, sie sei seinetwegen so leidenschaftlich, hatten schließlich beide was davon.
Nein, nicht wirklich. Fast jedes Mal, wenn sie mit Gerald geschlafen hatte, hätte sie anschließend weinen oder schreien mögen. »Mehr! Anders!« Aber das tat sie nicht, sondern sie drehte sich zur Wand und weinte lautlos, weil diese Sehnsucht nach irgendwas, nach Schmerz, nach Unterwerfung sie nicht mehr losließ.
Simone hasste die schlaflosen Nächte, die solchen Abenden meist folgten. Stundenlang lag sie wach und die Gedanken stürmten auf sie ein. Ungeordnet tauchten Bilder vor ihr auf, Momentaufnahmen wie aus einem Film, bei dem sie nicht aufgepasst hatte. Es waren Szenen, die sie nie zuvor gesehen hatte. Oder nicht hatte sehen wollen? Sie wälzte sich hin und her, versuchte, sich auf
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