Im Netz der Meister (German Edition)
man ihn anschaltete. Ein Kurs im Frauenbildungswerk hatte nicht viel gebracht, aber dann hatte Karin ihr geholfen. Sie kannte sich aus, denn Computer und Internet waren neben Büchern und Sprachen ihre liebste Freizeitbeschäftigung. »Wenn man es genau nimmt, bin ich internetsüchtig«, hatte sie Simone einmal gestanden und von einer Flirtline erzählt, in der sie virtuelle Brieffreundschaften und Online-Flirts pflegte. Simone verstand damals nicht, worum es dabei ging und konzentrierte sich darauf, das »Computerding« für ihre Arbeit benutzen zu können.
»Du sagtest vorhin, du kennst den Grandseigneur«, sagte Simone. Sie hatte schon den ganzen Nachmittag fragen wollen und tat es nun recht beiläufig, um nicht zu interessiert zu wirken.
Karin grinste. »Monsieur Karel. Ja, ich hatte das unzweifelhafte Vergnügen, diesem homme de plaisir zu begegnen.«
Einen Moment lang wirkte ihr hartes Gesicht weich und versonnen. »Er wird einer der Besten sein, die dir im Moment passieren können.«
Dann änderte sich ihre Mimik urplötzlich, das Dauerlächeln war wieder da, und sie sprang auf. »Ich muss los, Fabian ist sicher schon zu Hause. Mein Söhnlein brillant will unbedingt zur Waldorfschule wechseln; wir werden das heute ein Stück weit ausdiskutieren müssen.«
Sie zupfte zuerst an ihrem karierten Minirock, dann an ihrer Hochsteckfrisur, griff nach ihrer überdimensionalen Handtasche und ging eilig zur Tür. Dort dreht sie sich noch einmal um, deutete einen Knicks an und warf Simone eine Kusshand zu. »Bye, ma chérie, es war sehr schön, mit dir zu reden, meine Liebste! Mach dich morgen besonders hübsch, ich bringe meine Digitalkamera mit.« Und dann war sie draußen.
Simone schüttelte den Kopf. Komische Person. Ihr affiges Getue nervte, aber sonst war sie eigentlich nett. Und sie war eine zuverlässige Mitarbeiterin, die sich in moderner und klassischer Literatur auskannte. Was hatte sie damit gemeint, Karel würde das Beste sein, das ihr im Moment passieren könnte?
Simone schaute auf die Uhr: gleich sechs, noch eine Stunde bis zum Feierabend. Sie sah sich im Laden um. Es war alles aufgeräumt, keine Kunden in Sicht, es gab nichts, was sie unbedingt hätte tun müssen.
Sie griff nach der Computermaus und lenkte den Cursor auf den Verlauf. So, wie Karin es ihr vorhin gezeigt hatte. Tatsächlich, dort waren alle Love.Letters-Adressen aufgelistet, die sie in den letzten Stunden angeschaut hatten. Simone klickte die Zahlen- und Ziffernkombination an, die den Namen »Gräfin Mariza« enthielt. Karins Seite erschien.
Sie fühlte sich wie ein Spanner, als sie das Gästebuch aufrief und darin zu stöbern begann. Karin hatte laut Besucherzähler schon mehr als 8000 Klicks auf ihrer Seite gehabt, in ihrem Gästebuch waren 1662 Einträge. Simone las Grüße, Gedichte, Liebesbeteuerungen, dumme Texte und klug klingende lateinische Zitate. Karin hatte jeden einzelnen Eintrag witzig und clever kommentiert.
Simone lachte auf, als sie manchen Vers las, den sie als »Reim dich oder ich fress dich«-Lyrik einordnete. Allein durch Karins Kommentare bekam Simone einen neuen Eindruck von ihr: Im Internet wirkte sie nicht so forsch wie in der Realität, man sah diesen verbitterten Zug um die vollen Lippen nicht. Als Gräfin Mariza gab Karin sich kosmopolitisch, locker flirtend, ernsthaft philosophierend und schlagfertig.
Nun gut , dachte Simone, jeder stellt sich im Netz so dar, wie er sich selbst sehen will, ich bin ja nicht besser. Sie wollte den Streifzug durch Karins Gästebuch eben abbrechen, als ihr ein Nick über einem Eintrag ins Auge fiel: Dompteur. Das war Karel. Der Eintrag war ein halbes Jahr alt. Er hatte ein Gedicht von Rilke, leicht abgewandelt, hinterlassen: »Sie muss immer sinnen: Ich bin ... ich bin ... Wer bist du denn, Marie? Eine Königin, eine Königin? In die Knie vor mir, in die Knie!«
Und Karin hatte kommentiert: »Lächeln sehrsehrsehr. Jawohl, Milord.« Das war eindeutig.
Simone atmete tief durch und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Karin war auch »so eine«. Sie war eine Sub. Und sie hatte offensichtlich eine Affäre mit Karel gehabt. Oder hatte sie sie noch ...?
Es war unglaublich. Das Internet als anonyme Plattform, Love.Letters mit etlichen Tausend Usern, und sie traf dort ausgerechnet ihre Mitarbeiterin Karin als Verbündete und zugleich als Konkurrentin. Oder war sie keine Konkurrenz, sondern nur eine Ex? Simone loggte sich ein. Karel hatte eine Nachricht
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