Im Netz der Meister (German Edition)
wir mal, Liebes«, antwortete sie und begann, von ihrem Wochenende zu erzählen. Sie log nicht.
Ausschweifend berichtete sie vom Wiedersehen mit ihrer Freundin, schilderte Brittas Wohnung, erwähnte in allen Einzelheiten, was sie gegessen und getrunken hatten, vergaß nicht, die Veränderungen am Bahnhof zu beschreiben und dass sie im Europa-Center gewesen war.
Spät am Abend, nach dem Fernsehprogramm, ging sie ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Sie duschte heiß, zog sich einen langärmeligen Schlafanzug an und ging demonstrativ gähnend ins Bett.
Als sie Geralds zärtliche Hand an ihrem Rücken spürte, sagte sie mit betont schlaftrunkener Stimme: »Heute nicht, Schatz. Ich krieg meine Tage und hab schlimme Kopfschmerzen, okay?«
Gerald nahm sie innig und verständnisvoll in den Arm, und ihr schlug vor Scham das Herz bis zum Hals. Nur schwer konnte sie ihre Tränen zurückhalten. Sie kuschelte sich in seinen Arm und bemühte sich, tief und ruhig zu atmen, um ihn glauben zu lassen, dass sie schnell eingeschlafen sei.
Die Spuren an Simones Körper verblassten nach wenigen Tagen, die Spuren, die ihr Berliner Erlebnis in ihrer Seele hinterlassen hatten, nicht.
Mehr als je zuvor las sie alles, was sie über BDSM finden konnte. Sie verbrachte etliche Stunden im Internet. Wenn ein Kunde ihren Laden betrat, fühlte sich gestört. Sie hatte kaum noch Kontakt zu Boris, er antwortete sowieso nur spröde und sporadisch auf ihre Mails. Gern wollte er sie wieder treffen, na klar, aber bei ihm zu Hause in München.
»Beim nächsten Mal kommst du zu mir. Wir sprechen einen Termin ab, wenn meine Frau nicht da ist, und dann kommst du. Basta.«
Simone war zuerst verzweifelt, sie wollte ihn wiedersehen, wollte wissen, welchen Eindruck eine zweite Session in ihr hinterlassen würde, aber nach München zu fahren war unmöglich. Sie hatte keine Zeit, kein Geld und vor allem keine Ausrede für eine solche Reise. Dann wunderte sie sich, dass sie Boris’ Kaltschnäuzigkeit recht gelassen hinnahm. Er war zwar hübsch und nett und sicherlich ein guter Dom, aber mehr als ein Kribbeln im Bauch und diese unbändige Sehnsucht nach mehr provozierte er nicht mehr bei ihr. Nicht er, nicht Boris war wichtig. Er als Person war vielleicht ein Werkzeug, eine Art »Erfüller« gewesen. Die Sehnsucht war wichtig. Die Sehnsucht war da.
Und sie blieb.
Simone wachte oft aus diffusen Träumen auf, erinnerte sich an Szenen, die sie sich nicht im Detail eingeprägt hatte, die sie jedoch unendlich erregten. Was war es, das da mit ihr passierte? Warum veränderte sie sich? Sie sah sich selbst anders, weiblicher, erotischer, empfänglicher und plötzlich auch sehr begierig zu geben.
Was wollte sie geben? Und wem? Worauf wartete sie? Und warum wartete sie auf irgendwas oder irgendwen?
Sie war verheiratet, hatte Kinder, ein Haus, einen Job, ein Auskommen. Was fehlte? Fehlte etwas?
Warum hatten diese Schmerzen sie so erregt? War es eine Krankheit, eine Perversion, eine abartige Neigung, die sie faszinierte? Viele Fragen, die sie sich in schlaflosen Nächten stellte, aber sie suchte nicht wirklich nach Antworten. Sie hatte Angst, sie zu finden.
Simone surfte weiter durch das Männerangebot im Internet, knüpfte und pflegte virtuelle Kontakte, wurde versierter im Umgang mit Love.Letters und traf dort eines Tages auf Karel. Sie wurde auf ihn aufmerksam, als sie den Eingangstext in seinem Profil las: »Du weißt es und ich weiß es. Also reden wir nicht lange um den heißen Brei herum! Dominanter Mann, souverän, tageslichttauglich, 1,94 groß, 55 Jahre alt, sucht submissive Geliebte.«
Das klang gut.
Simone hinterließ eine Message in seinem virtuellen Postfach: »Es gibt Profile, an denen Frau nicht ohne Herzklopfen und eine Spur zu hinterlassen vorbeiklicken kann.«
Es dauerte ein paar Tage, bis sie Antwort erhielt – und er entschuldigte sich dafür, dass er sie hatte warten lassen.
»Ich reise viel und bin nicht täglich online«, erklärte er. Dann ging er Punkt für Punkt auf ihr Profil ein, fragte sie über ihre Interessen aus, interpretierte ihren geschliffenen Schreibstil als intellektuell und unterhaltsam, analysierte ihre Wünsche.
»Du suchst nicht nur eine nette Zeit im Chat. Du brauchst einen Dom«, konstatierte er nach kurzer Zeit.
Simone war nach dem Lesen dieser Worte sehr unruhig.
Er hatte Recht. Das war es, was sie suchte. Was sie sich vom Ergebnis dieser Suche versprach, wusste sie nicht.
Sie schrieben sich
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