Im Netz der Meister (German Edition)
»Lustfesseln« sehr engagiert und kommentierte jeden einzelnen Beitrag, jede Frage und jede Antwort. Kein Wunder, dass ihn alle eingefleischten Chatter kannten.
Simone hatte schon öfter mit ihm gemailt und geflirtet. Sein Nick »Marquis« hatte sie neugierig gemacht und die beiden waren schnell ins Gespräch gekommen. Schon nach kurzer Zeit war Simone Mitglied in der Gruppe »Lustfesseln« geworden, hatte sich aber nie an den Diskussionen dort beteiligt, sondern immer nur interessiert mitgelesen. Sie wollte ihr Sexualleben nicht in einem Forum posten, in dem Leute mitlasen, die sie nicht kannte.
Eines Tages verabredeten sich Arno und Simone zu einem Plausch im Messenger. Simone hatte dieses schnelle Kommunikationsmittel seit Neuestem installiert und nutzte es gern: Die Nachrichten wurden fast in Echtzeit übermittelt, sodass ein Chat einem richtigen Gespräch sehr nahe kam.
Arno erzählte ihr, dass er gebürtiger Kölner sei und in München einen »politischen« Job habe. Deshalb könne er ihr auch leider kein Bild schicken. Er sei 58 Jahre alt, glatzköpfig, 1,80 groß, habe einen Bauch und blaue Augen.
Das klang wenig verlockend, dachte Simone und schrieb ihn als potenziellen Session-Kandidaten ab. Dennoch unterhielt sie sich gerne mit ihm, denn Arno war geistreich, schlagfertig und unterhaltsam. Und er war relativ alt und erfahren, vielleicht würde sie eines Tages mit ihm über ihre innere Zerrissenheit reden können. Derweil plauderten Simone und Arno über gemeinsame virtuelle Bekannte bei Love.Letters, und Simone erfuhr etliche Anekdoten. Arno kannte viele Chatter persönlich, er organisierte in regelmäßigen Abständen Chattertreffen in Köln, München und Hamburg.
Hinter manchem Nick bei Love.Letters hatte Simone umwerfende Damen und Herren vermutet, doch das war nach Arnos Beschreibungen offenbar ein Irrtum. Viele Frauen seien ausnehmend fett, viele seien auch bloß Fakes, und viele seien so hässlich, dass sie nur virtuell flirten konnten .
»Real lässt sich auf solche Kühe keiner ein«, schrieb er.
»Was sind Fakes?«, fragte Simone.
»Das sind Leute mit vielen Profilen, die sich als Männer und Frauen ausgeben und deren Lebensinhalt die Chatterei ist. Du musst dir nur die Nicks ansehen, die den ganzen Tag online sind, Lady. Alles Arbeitslose, auch wenn sie von ihren tollen Jobs erzählen. Oder es sind Leute, die sich zwar in den SM-Gruppen tummeln, schlaue Beiträge schreiben und sich als erfahren ausgeben, in Wirklichkeit aber nie ein Date hatten und auch keins haben wollen. Ganz arme Menschen, ganz arme!«
»Arno, du meinst, es kann sein, dass ich hier mit Männern geflirtet habe, die in Wirklichkeit Frauen sind?«
»Mit Sicherheit, Lady!«
»Warum tun die das?«
»Sie wollen wissen, wie die Konkurrentinnen sich verhalten, wie sie schreiben, was sie preisgeben. Und dann verbraten sie die Inhalte bei ihren eigenen Aktionen.«
»Um Gottes willen. Das ist ja schäbig! Wie schützt man sich vor solchen Leuten?«
»Gar nicht, Lady. Nach einer Zeit erkennt man sie aber.«
Simone war ziemlich entsetzt, denn sie hatte einige Kontakte gehabt, aus denen sich keine Verabredungen ergeben hatten. Waren das Fakes gewesen? Wie peinlich, wenn sie ihre Erwartungen und Vorlieben fremden Frauen geschildert hatte!
Simone fragte, ob sie auch ein Fake sei, denn im Laufe ihrer Zeit bei Love.Letters hatte sie selbst ja auch schon den zweiten Nick. Zuerst Lady Chatterley, jetzt Inkognito.
»Nein, Lady«, beruhigte Arno sie, »das sind einfach zwei Seiten eines Menschen, also zwei Seiten der Medaille, das ist ganz legitim, Lady.«
Irgendwie wartete Simone darauf, dass Arno jetzt offen über seine beiden Nicks reden würde, es wusste doch sowieso jeder, dass er ein Switcher war, aber das tat er nicht.
Arno beendete Chats und Mail-Wechsel meist recht schnell, ungefähr nach einer Viertelstunde schrieb er fast jedes Mal: »Ich muss mal raus, Lady, Küsschen und bis bald!«
Und dann war er weg. Wenn Simone dann weitersurfte, sah sie, dass er mit seinem anderen Nick »Leopold« online war.
Ein hektischer Vogel, dachte Simone.
Sie beobachtete die Profile der Chatter, die sie inzwischen kannte. Sie beobachtete Karin, Mark, Annika, Arno, Lady Domme und einige andere. Meistens surfte sie unsichtbar. Arno hatte recht: Manche hielten sich offenbar den ganzen Tag in ihrer virtuellen Welt auf. Fast immer, wenn Simone sich einloggte, sah sie, dass auch Karin online war.
In ihrem Gästebuch waren auch zahlreiche
Weitere Kostenlose Bücher