Im Netz der Meister (German Edition)
andere Welt. Von Hans-Albers-Romantik kann ich nichts spüren, hier geht’s an allen Ecken nur um Sex und ums Saufen. Nur Kneipen, Bars, Shops und solche Fachgeschäfte. Der kleine Laden ist vollgestopft mit SM-Utensilien aller Art. Kleidung, Nippes, Handschellen, Keuschheitsgürtel. Hinter dem Tresen, der in jedem Tante-Emma-Laden als Käsetheke dienen könnte, hängen Peitschen. Schwarze, weiße, grüne, rote, rosafarbene. Lange, kurze, mittellange. Manche haben Metallgriffe, andere Handstücke aus Plüsch, wieder andere welche aus Leder. Es gibt Peitschen, die aus vielen dünnen Metallketten bestehen. Liebe Güte, wer will denn so was spüren.
Hinter dem Tresen steht eine ältere Frau, die überhaupt nicht wie eine Domina aussieht. Keine Stiefel, kein üppiges Make-up, nichts. Sie ist Ende fünfzig, schätze ich. In jedem Supermarkt laufen solche Frauen rum, unscheinbare, normale Typen im ausgeleierten Sweatshirt und mit Jeans. Hier auf St. Pauli hab ich irgendwie mehr skurrile Leute vermutet.
Die Ex-Domina lacht mich an. »Da hat unser Arno ja mal was ganz Hübsches aufgerissen«, sagt sie. Ich bedanke mich artig.
Sie sagt: »Und so eine schöne Stimme hat sie. Willst du nen Kaffee?«
Ja, ich nehme gerne Kaffee. Wir bleiben lange in dem kleinen Laden. Die Ex-Domina zeigt mir die Teddys, erklärt mir, wie die Peitschen gemacht werden, sie ist einfach nur nett.
»Arno, warum hast du gesagt, die Dame hier würde mich anpöbeln?«
Mir fällt auf, dass mein Ton streng klingt. Du grinst, bist du verlegen? Du antwortest nicht, stattdessen sagst du zu der Ex-Domina: »Welche Peitsche würdest du mir denn für die junge Lady mit der schönen Stimme empfehlen?«
Ich muss lachen. Aha. Du willst deine Position wieder klarstellen. Du bist ja heute Dom. Aber du bist nicht mein Dom, wieso willst du eine Peitsche kaufen?
Die Ex-Domina empfiehlt dir eine schwarze mit kurzem ergonomischem Griff. Sie ist mit auffälligen silbernen Nieten verziert. Du kaufst sie und steckst sie in die Plastiktüte mit den Nylons.
Die Domina sagt: »Arno ist da immer ganz eigen. Jede Sklavin hat ihre eigene Peitsche.«
»Ach ja? Nun, Arno, wenn sie die Peitschen nach einer Affäre mit dir nicht behalten dürfen, wirst du zu Hause eine stattliche Sammlung haben.«
Du grinst nur. Ich werde langsam müde, wir sind seit Stunden unterwegs, und ich habe keine Lust mehr zum Sightseeing. Mir tun die Füße weh, ich will sitzen. Wir gehen ein paar Minuten und stehen vor einer Eckkneipe: »Bei Günter Jauch« steht auf der Leuchtreklame. Es ist eine finstere Spelunke, das totale Kontrastprogramm zum noblen Elysée-Hotel heute Mittag. Aber die Wirtin, eine mächtige Polin, ist sehr nett.
Wir sitzen an der Bar und trinken Flaschenbier. Zwischendurch wirfst du Geld in die Musikbox und wir tanzen. »Himbeereis zum Frühstück«, »Marmor, Stein und Eisen bricht«, »Immer wieder sonntags« . Mit dem Alkohol, den ich intus habe, gefallen die Lieder mir gut. Wir sind die einzigen Gäste.
Wann endlich können wir reden? Wenn ich noch mehr saufe, kann ich das bald nicht mehr. Warum machst du mit mir diese Tour? Wieso kennst du dich hier überhaupt so gut aus?
»Hier kennen mich die Leute nur als Arno. Und wenn ich tatsächlich mal jemanden in der Szene treffe, der mich auch beruflich kennt, dann ist es egal. Denn wem ich auf St. Pauli begegne, der ist aus demselben Grund hier wie alle: Sex«.
Das ist sicher richtig.
Du erzählst mir aus deinem Leben, von deinen Jahren in Italien, von den tollen Weibern, mit denen du dort Verhältnisse hattest, von deiner Frau, die nach einer Gallenoperation gestorben ist, von deinen Büchern, die nur etwas für Fachidioten sind, von deinem Haus in München, von deinem BMW, der das neueste Modell ist. Fehlt nur, dass du ein Bild von deinem Boot auf den Tisch legst. Von SM erzählst du nichts.
Ich frage: »Wie kamst du zu SM?«
»Lady, das ist viele Jahre her. Ich war schon immer dominant, solange ich denken kann.«
»Warst du in deiner Ehe auch dominant?«
»Ja, sicher, ich bin es immer. Ich bin allerdings nie in die Monotonie der Monogamie verfallen.«
»Wusste deine Frau von den anderen?«
»Nein. Sie hat es in dreißig Jahren Ehe nie erfahren.«
Ich frage mich, ob du die Wahrheit sagst. Und ob deine Frau es wirklich nicht wusste oder ob du nicht wusstest, dass sie es wusste.
»Und wie kamst du zu Love.Letters?«
»Eine Freundin chattete da, sie nahm mich sozusagen mit.«
Dann erzählst du von den vielen
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