Im Netz Der Schwarzen Witwe
schenkte sie John ein strahlendes Lächeln, mit dem sie ihm signalisierte, dass sie sich der körperlichen Unterschiede zwischen ihr und Mariah voll bewusst war.
John zwang sich, Serenas Lächeln verschwörerisch zu erwidern. Er wusste, dass es Mariah nicht entgehen und sie es vermutlich als Freundlichkeit interpretieren würde. Vorerst noch.
Später, wenn sie Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, würde ihr klar werden, dass ihre Freundin von Anfang an mit ihm geflirtet hatte.
„Sie kommen nicht zufällig aus der Gegend um Boston?“, fragte er Serena. „Ich kenne einen Harcourt Westford aus meiner Zeit in Harvard. Seine Familie stammt aus Belmont, glaube ich.“
„Nein, ehrlich gesagt war ich noch nie in Boston und Umgebung.“
Sie log, denn in Hyannisport auf Cape Cod hatte sie Opfer Nummer sechs kennengelernt, geheiratet und schließlich ermordet. Die Schwester des Opfers hatte der Polizei erzählt, dass ihr Bruder und seine frisch angetraute Ehefrau – damals benutzte sie den Namen Alana – regelmäßig nach Boston fuhren, um sich Konzerte des Bostoner Symphonieorchesters anzusehen.
„Bitte bedient euch selbst an der Bar“, forderte Serena ihn und Mariah auf. „Der Partyservice macht die besten Krabbenpastetchen. Die müsst ihr unbedingt probieren.“
Als Serena weiterzog, um neu ankommende Gäste zu begrüßen, drehte sie sich noch einmal nach John um und warf ihm eine Kusshand zu. Mariah bemerkte es nicht.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“ Mariah drückte sanft seinen Oberarm. „Du siehst ein bisschen blass aus.“
Er zwang sich zu einem Lächeln. „Mir geht’s gut.“
„Warum setzt du dich nicht für einen Moment, dann hole ich uns etwas zu trinken.“
„Das musst du nicht.“ Er wollte nicht, dass sie ging. Er wollte die Gelegenheit nicht nutzen müssen, Serena zu beobachten und ihr zuzulächeln, sobald sie in seine Richtung schaute.
„Es macht mir nichts aus“, versicherte Mariah ihm. „Was soll ich dir mitbringen?“
„Nur ein Wasser.“
„Bin gleich wieder da.“
John sah ihr beinah wehmütig hinterher. Wenn sie zurückkam, hatte er längst begonnen, die unbeschwerte Vertrautheit zwischen ihnen zu zerstören.
Am Rand der Veranda standen Sessel, doch er blieb lieber stehen. Wenn er sich hinsetzte, würde er Serena Westford nicht im Auge behalten können. Sie stand am anderen Ende der riesigen Veranda, auf der obersten Stufe der Treppe, die zum Strand hinunterführte.
John steuerte einen der bequemer aussehenden Liegestühle an. Von dort aus konnte er Serena gut sehen.
Sie beobachtete ihn. Er spürte, dass sie in seine Richtung sah, als er sich vorsichtig auf einem der Liegestühle niederließ. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sie sich vertraulich zu dem Mann herüberbeugte, mit dem sie sich unterhielt. Der Mann drehte sich zur Bar um und nickte. Als er wegging, fühlte John mehr, als dass er es sah, wie Serena auf ihn zukam.
In Gedanken ging er noch einmal seine Coverstory durch, deren Daten und Fakten wie Worte auf einem Computerbildschirm an seinem inneren Auge vorbeizogen. Sein Name war Jonathan Mills. Harvard-Jahrgang 1990, Abschluss des Betriebswirtschaftsstudiums an der New York University 1995. Alarmanlagen für Autos. Hodgkins. Chemotherapie. Nie verheiratet gewesen. Sah sich mit der eigenen Sterblichkeit und dem Ende seiner Ahnenreihe konfrontiert.
Vergiss Mariah, ermahnte er sich. Sie wäre auf lange Sicht ohnehin besser dran ohne einen Mann wie ihn. Schließlich war er der „Roboter“. Was sollte eine so empfindsame, warmherzige Frau mit einem Kerl wie ihm, von dem es hieß, er besitze keine Seele?
„Geht es Ihnen gut?“ Serenas kühler britischer Akzent drang in seine Gedanken ein. Sie setzte sich auf den Liegestuhl neben seinem. „Mariah erzählte mir, Sie seien vor Kurzem noch sehr krank gewesen.“ Sie wirkte sehr interessiert.
„Ja“, bestätigte John. „Das war ich.“ Auf der anderen Seite der Veranda sah er Mariah, in jeder Hand ein großes Glas mit einem erfrischend aussehenden Drink. Sie unterhielt sich mit dem Mann, mit dem Serena zuvor gesprochen hatte. Als sie in Johns Richtung sah, wandte er sich rasch ab.
„Wie schrecklich“, murmelte Serena.
„Mariah hat mir über Sie gar nichts erzählt“, entgegnete John und wusste, dass alles, was sie ihm über sich erzählen würde, eine Lüge wäre.
Früher war es aufregend gewesen, sich als jemand anderes auszugeben und sich gegenseitig etwas vorzuspielen. Sie würde ihn
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