Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)

derselbe, der er mal war. Er ist verzweifelt«, sagte Jared. »Er hat seine Vorgehensweise geändert und tötet jetzt nicht mehr wie Serienmörder, sondern wahllos. Es kommt zwar nicht oft vor, aber ich vermute mal, dass der Spinnenmann die letzten vierzehn Jahre ein normales Leben geführt und keine Morde begangen hat. Was auch immer er während dieser Zeit getan hat, hat anscheinend funktioniert … zumindest bis Frank Lyle auf der Bildfläche erschienen ist. Serienmörder wollen mit ihren Taten auf sich aufmerksam machen und im Rampenlicht stehen. Wenn sie es schaffen, über die Jahre immer wieder zu morden, ohne dabei erwischt zu werden, löst das in ihnen ein Gefühl der Überlegenheit aus. Und dann kommt auf einmal dieser FrankLyle und tötet ein junges Mädchen auf dieselbe Art und Weise, wie es der Spinnenmann getan hat. Nach seiner Festnahme posaunt er in die ganze Welt hinaus, dass er derjenige ist, den wir suchen, nämlich der Mann, der mindestens sechs Morde begangen hat. Das macht den Spinnenmann wütend, und zwar so sehr, dass er gar nicht anders kann, als aus seinem Versteck zu kommen. Seine Wut auf Lyle bringt ihn völlig aus der Fassung und lässt ihn die Beherrschung verlieren. Er ist jetzt älter, aber nicht unbedingt klüger. Er will der Welt auf Teufel komm raus mitteilen, dass er wieder da ist. Er schaut sich die Nachrichten an, liest die Zeitungen und erfährt, dass Lizzy nicht diejenige war, für die er sie gehalten hat. Die ganze aufgestaute Wut verlagert sich jetzt von Lyle, der hinter Gittern sitzt, auf das Mädchen, das ihm damals durch die Lappen gegangen ist.«
    Lizzy rieb sich die Arme.
    »Okay«, sagte Jimmy, »kommen wir zum Kern der Sache. Der Grund, warum Lizzy heute hier am Tisch sitzt, ist der, dass sie sich als Lockvogel angeboten hat.«
    Alle Augen richteten sich auf Jared, der den Kopf schüttelte. »Mir gefällt das nicht und ich glaube nicht, dass der Spinnenmann darauf reinfällt, vor allem jetzt, nachdem Hayley dasselbe gemacht hat. Aber Lizzy hat ihren eigenen Kopf und ist stur wie ein Bock.«
    Lizzy nickte, eine Geste, mit der sie bestätigte, was Jared gerade gesagt hatte.
    »Also gut«, sagte Jimmy, »dann bleibt wohl nur noch die Frage, wann, wo und wie?«

Sonntag, 21. Februar 2010, 17:07 Uhr
    »Hallo«, sagte Lizzy, als Jessica die Augen öffnete.
    »Hallo.«
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Ausgezeichnet.«
    Lizzy musste über ihre Frage schmunzeln. Sie war noch lächerlicher als Jessicas Antwort. Das Mädchen war an mehrere Schläuche angeschlossen und sah beschissen aus.
    »Ich hatte keine Ahnung, dass der Kerl eine Schusswaffe hatte«, sagte Jessica mit belegter Stimme.
    »Weshalb haben Sie gedacht, Gilman wäre unser Mann?«
    »Er war früher der Mathelehrer meines Bruders und hat ihm auch Nachhilfe gegeben. Scott, mein Bruder, war mal spät am Abend bei ihm, weil Gilman ihm angeboten hatte, ihm bei der Vorbereitung auf eine Klausur zu helfen.« Jessica schluckte. Ihre Lippen waren trocken und rissig. »Ich weiß noch genau, wie mein Bruder damals von der Nachhilfe spät nach Hause kam. Er war irgendwie anders. Ich hab mich deswegen über ihn lustig gemacht, was normal war – wir haben das untereinander oft gemacht. Aber dieses Mal wurde mein Bruder wütend und ich hab angefangen zu weinen. Bevor ich mich versah, hat mein Bruder auch geweint, und dann hat er unseren Eltern erzählt, dass sein Mathelehrer ihn unsittlich berührt hätte. Es war eine schlimme Zeit für unsere Familie. Dad ist am nächsten Tag in die Schule gegangen und hat sich beim Direktor beschwert.«
    »Wurde Gilman von der Polizei festgenommen?«
    »Das weiß ich nicht mehr. Ein paar Tage später ist Mary verschwunden und da hab ich die Sache mit Gilman und meinem Bruder vergessen.«
    Lizzy griff über das Bettgeländer und nahm Jessicas Hand. »Das tut mir wirklich leid.«
    »Als ich Ihre Nachricht abgehört habe«, sagte Jessica, »und Sie mir gesagt haben, ich solle Gilman und Sullivan auf unsere Liste von Verdächtigen setzen, war ich mir ganz sicher, dass Gilman der Spinnenmann ist. Oder zumindest dachte ich, er sei derjenige, der Mary entführt hat. Plötzlich ergab alles einen Sinn, denn zwei Tage, nachdem Dad sich bei der Schulleitung beschwert hatte, ist Mary verschwunden. Ich konnte nicht fassen, dass mir dieser Zusammenhang nicht schon früher aufgefallen ist. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mich geirrt habe.«
    Lizzy fand eine Tube mit Vaseline und hielt sie Jessica hin,