Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
schießen. Also spielte Jared das Spiel mit, für den Augenblick jedenfalls. »Mom«, sagte er, »was hast du getan, dass er sich so aufregt?«
Sie hob trotzig das Kinn. »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn verlasse. Dein Vater ist Richter. Anscheinend hat seine Frau nicht das Recht, mit ihm Schluss zu machen.«
Mit seiner gepflegten, patrizierhaften Erscheinung und seinem dunklen, an den Schläfen graumelierten Haar war sein Vater ein attraktiver Mann, dessen Ausstrahlung und Auftreten normalerweise Selbstvertrauen und Führungsstärke demonstrierten. Aber nicht heute. Im Augenblick war sein Vater rot im Gesicht und wirkte mitgenommen. Wie jemand, der eine Niederlage einstecken musste.
»Erklär doch mal deinem einzigen Sohn, warum du mich verlässt.«
»Ich liebe einen anderen«, sagte Mom mit trauriger und resignierter Stimme.
»Sag ihm, wen!« Er fuchtelte erneut mit der Pistole herum.
Jareds Mutter zitterten die Hände.
»Hör auf, Dad. Hör endlich auf damit«, schrie seine Schwester. »Er hat getrunken«, sagte sie zu Jared. »Er kann nicht vernünftig denken.«
»Eure Mutter hat mit ihrem scheiß Zahnarzt gevögelt!« Auf diese Bemerkung folgte bitteres Gelächter. Jareds Vater ließ den Kopf sinken und das Kinn auf die Brust fallen. Als Jared neben ihm stand und ihm die Waffe aus der Hand nahm, verwandelte das Gelächter sich in einen Schwall Tränen.
Kapitel 12
Mittwoch, 17. Februar 2010, 7:25 Uhr
Lizzy schaltete den Motor ab, blieb aber im Auto sitzen. Sie hörte den Geräuschen zu, die der Wind machte, als er durch den Motorblock pfiff und durch unsichtbare Ritzen drang. Draußen schaukelten die langen, kahlen Äste der Ahornbäume auf beiden Seiten der Straße hin und her, als tanzten sie einen Wiener Walzer.
Es war Mittwoch. In den vergangenen Tagen war viel geschehen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, an diesem Morgen auszuschlafen, aber wem machte sie etwas vor? Sie hatte schon seit Jahren nicht mehr gut geschlafen, geschweige denn ausgeschlafen.
Als sie gestern zusammen mit Jared auf dem Gehsteig vor dem Haus der Walkers – dem Horror-Haus – gesessen und auf die Polizei gewartet hatte, hatte Jared mit Jimmy Martin telefoniert und ihm geschildert, was geschehen war. Das FBI brauchte nicht lange, um einen Durchsuchungsbefehl für das Haus zu bekommen. Während Lizzy zusammen mit Jared wartete, hatte sie das Gefühl, als ob jemand sie beobachtete. Als sie dies Jared gegenüber erwähnte, deutete er nur auf das Haus gegenüber, wo eine ältere Frau durch das Küchenfenster zu ihnen hinübersah.
Lizzy hatte es dabei belassen, aber ihre Instinkte blieben in höchster Alarmbereitschaft. Er war in der Nähe und er hatte sie eindeutig beobachtet. Instinkte trügen einen nie – eine Lektion, die sie auf die harte Tour gelernt hatte.
Mrs. Walker und ihre Tochter waren nicht besonders erfreut gewesen, als sie erfuhren, dass ihr Haus womöglich einmal einem brutalen Psychopathen als Folterkammer gedient hatte. Als sie schließlich den Ort verließen, machte Lizzy sich vor allem über die Tatsache Gedanken, dass sie keinen Hinweis auf Sophie gefunden hatten. Die Walkers hatten das Haus sechs Jahre zuvor von einem Mann namens Carl Dane gekauft, der inzwischen verstorben war. Jimmy Martin wollte diese Angaben überprüfen und hatte versprochen, Lizzy auf dem Laufenden zu halten.
Lizzy stieg aus ihrem alten, verbeulten Toyota. Als sie die Tür zuschlug, quietschten die Scharniere, als würden sie protestieren. Seit Lizzy das Horror-Haus von innen gesehen hatte, schossen ihr immer mehr Bilder wie Popcorn durch den Kopf. Der Spinnenmann war Arzt, dessen war sie sich sicher … und dennoch gab es etwas, das nicht ganz ins Bild passte.
Was hatte sie übersehen?
Die Straße vor ihrem Büro wirkte für einen Werktagmorgen seltsam verlassen. Wahrscheinlich blieben die meisten Leute heute wegen des kalten Wetters länger in ihren warmen Betten. Die Morgenluft war eisig, aber sie konnte die Kälte in ihren Knochen nicht nur auf das Wetter schieben. Sie langte über die Schulter und tastete nach dem Halfter, um sicherzugehen, dass ihre Pistole sich dort befand, wo sie hingehörte. Alte Gewohnheiten ändern sich nie.
Vielleicht hätte sie doch lieber auf Jared warten sollen. Er hatte gestern Nacht um elf vom Haus seiner Eltern aus angerufen und ihr angeboten, in ihrer Wohnung zu übernachten. Er machte sich Sorgen um sie. Aber sie lehnte ab. Sie hatte die schlechte Angewohnheit, andere Leute nicht an
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