Im Netz des Teufels
Größenverhältnisse demonstrieren. Jetzt waren die Mädchen viel größer. Wie viel Zeit war verstrichen, seitdem er in jener dunklen Nacht zu dem Bauernhof in Keskküla gefahren war?, fragte Aleks sich. Wie viel Zeit war verstrichen, seitdem die Hebamme zu ihm gekommen war und ihm gesagt hatte, dass bei Elena die Wehen eingesetzt hatten?
Er stand in der Tür zu ihrem Zimmer. Die Wände waren zartrosa, die Fensterrahmen und die Tür weiß. Die Möbel in dem Raum – ein Nachtschrank zwischen den beiden Betten, eine kleine Kommode, zwei Schreibtische – waren ebenfalls weiß. Auf dem Bett sah er verschiedene Spielsachen und auf einem der Schreibtische einen zusammengefalteten Pullover. Wenn man bedachte, dass das Zimmer von vierjährigen Mädchen bewohnt wurde, war es erstaunlich gut aufgeräumt, ohne dass hier pedantische Ordnung herrschte.
In der hinteren Ecke stand ein Tisch mit vier kleinen Stühlen, und auf dem Tisch befanden sich Gedecke für drei Personen.
In dem Raum roch es nach Puder und Fruchtshampoo. An den Wänden hingen Poster und Zeichnungen. Auf den Postern war eine gewisse Dora aus einer Zeichentrickserie dargestellt. Auf den Bildern waren Herzchen zum Valentinstag, Kleeblätter und Ostereier gemalt.
Aleks durchquerte das Kinderzimmer und öffnete eine Schublade in der Kommode. Dort lagen ordentlich zusammengefaltete, kleine T-Shirts und zusammengelegte Strümpfe in knallbunten Farben. In der zweiten Schublade lagen kleine Plastikportemonnaies, Nylonrucksäcke und zwei Paar weiße Handschuhe.
Aleks griff in die Schublade, nahm die Handschuhe heraus und schloss die Augen. Er spürte ihre Anwesenheit in seinem Inneren und sah die Frauen ...
... eine Ewigkeit am Flussufer stehen, erstarrt in dieser unvergänglichen Schönheit, die weder Jugend noch Alter kannte ... zu ihren Füßen fließt das klare Wasser ... der endlose Kreislauf des Lebens. Er sitzt auf einem nahen Hügel, die Flöte in der Hand und von grenzenlosem Stolz erfüllt. Während alles ringsherum neu geboren wird und stirbt, Generationen innerhalb von Sekunden vorbeifliegen, bleiben sie dieselben. Über ihnen ein rotviolettes Licht am Himmel. Olga, niemals gesehen, immer präsent ...
Das Schlafzimmer der Eltern im ersten Stock lag an der Vorderseite des Hauses. Die Einrichtung war geschmackvoll und sogar ein wenig luxuriös. Ein Himmelbett, eine Kommode mit einem LCD-Flachbildschirm, ein Heimtrainer in einer Ecke. Dieses Zimmer war nicht so ordentlich wie das der Mädchen. Man hatte den Eindruck, hier lebten Menschen, die immer in Eile waren.
Aleks schaute in die Schubladen. Offenbar hatte Abigail die oberen drei Schubladen der Kommode in Beschlag genommen und Michael die unteren beiden.
Im Schrank hingen Anzüge, Hemden, Röcke und Kleider auf Holzbügeln. In den Fächern lagen zahlreiche Schachteln mit zusammengefalteten Pullovern und Westen. Im obersten Fach stand ein Karton mit Fotos und Erinnerungsstücken. Aleks nahm ihn herunter und stellte ihn aufs Bett.
Er blätterte in ein paar Fotoalben – Michaels und Abigails Hochzeit, ihre Flitterwochen, Weihnachten und Geburtstagspartys. Das zweite Fotoalbum enthielt nur Fotos der beiden Mädchen. Auf der ersten Seite war ein großes Foto von Anna und Marya in einem Kinderbett, das offenbar in einer Arztpraxis aufgenommen worden war. Sie waren höchstens ein paar Monate alt. Aleks versuchte, sich an diese Zeit seines Lebens zu erinnern, das erste Jahr, nachdem die Mädchen ihm gestohlen worden waren. Damals schwelte seine Wut immer unter der Oberfläche. Auf den anderen Bildern sah man die Mädchen am Strand, im Garten und auf ihren Dreirädern.
Unten in dem Karton lag noch ein Album mit einer Sammlung von Zeitungsausschnitten. Ziemlich am Ende fand Aleks ein paar Zeitungsartikel über Michael. Der längste Artikel – tatsächlich ein Leitartikel – stammte aus dem Magazin New York und war vor fünf Jahren erschienen. Der Titel lautete:
STAATSANWALT AUS QUEENS ENTKOMMT DEM TOD UND BRINGT SCHWERVERBRECHER HINTER SCHLOSS UND RIEGEL.
Aleks blätterte zum Inhaltsverzeichnis, überflog es und wandte sich dann dem Artikel zu. Auf der linken Seite war noch ein Foto von Michael Roman, auf dem er sich in einer New Yorker Straße gegen einen Wagen lehnte. Aleks begann zu lesen. In der Einleitung stand das übliche Blabla, doch im fünften Abschnitt fand er etwas, was ihn faszinierte und womit er niemals gerechnet hätte.
Mr Roman, 30, arbeitet seit fünf Jahren als
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