Im Netz des Verbrechens
klein und gemütlich, und machte nicht den Eindruck, als wolle es mit dem von Leah und Kay konkurrieren, sodass Juna sich sogleich etwas entspannter fühlte. Das bisschen Normalität tat ihr gut. Trotz der Schlichtheit und der beige- und hellbraunen Töne war es hier dennoch anders als irgendwo daheim. Die Duschkabine lud zur Wasserverschwendung ein und davor lag eine gehäkelte Seltsamkeit von einem Fußabtreter, in den irgendjemand unendlich viele Arbeitsstunden investiert hatte. Er war zu schade, um mit ihren schmutzigen Füßen darauf zu steigen, deshalb hängte sie ihn an einem Handtuchhalter auf. Den Bademantel legte sie auf eine Anrichte. Sie schälte sich aus ihrer Weste und fing das Album auf, bevor es auf den Boden fallen konnte. Kurz überlegte sie wohin damit, dann hastete sie ins Schlafzimmer und versteckte das Buch unter der Matratze. Zurück im Bad legte sie die übrigen Klamotten ab. Etwas Kleines, Flaches schlitterte unter die Kloschüssel, aber Juna war zu müde, um nachzuschauen. Sie kickte ihre Sachen beiseite und stieg in die Duschkabine. Das Wasser spülte den Dreck von ihrem Körper. Sie stand da, ohne sich zu rühren, und beobachtete, wie die schmutzigen Bäche im Abfluss verschwanden. Nach und nach wurde sie ihrer selbst wieder bewusst, hob die Arme und rieb sich über das Gesicht. Unter dem Strom des Wassers tankte ihr Körper Energie, und der belebende Duft des Duschgels – Limette und Minze – erweckte wieder ihre Lebensgeister.
Als sie endlich die Mischbatterie abdrehte, war zumindest der oberflächliche Schreck weggespült. Die labyrinthähnlichen Gänge des Gebäudes, der Killer, der irgendwo in der Dunkelheit lauerte – alles schien einem Albtraum entsprungen zu sein, der nach und nach abklang. Sie fühlte sich erleichtert. Noch im feuchtwarmen, dampfumnebelten Bad stellte sie sich in Position – die Knie etwas gebeugt, die Arme erhoben – und lauschte der inneren Ruhe. Ein wenig so, als würde sie ihren Vater ehren, indem sie ihr eigenes Wesen zurück in die Balance brachte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie ihre Haltung löste. Das nasse Haar klebte an ihrem Rücken. In einer der Schubladen fand sie den Fön, trocknete die Haare und hüllte sich in den Bademantel.
Als sie ihre schmutzigen Klamotten ordentlich zusammengelegt und in einer Ecke gestapelt hatte, bemerkte sie unter der Kloschüssel das Handy. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, das Telefon wieder eingesteckt zu haben, nachdem der Wachmann sie durchsucht hatte. Sie hob es auf. Das Gehäuse lag vertraut in ihrer Hand, ihr Schoß erinnerte sich gut an die Vibrationen und daran, was die wenigen Zeilen einer SMS mit ihr anstellen konnten.
DS
Seine Nummer war unter diesen Initialen eingetragen worden. Seine richtigen Initialen? Also wollte er es ihr doch irgendwie sagen?
Sie steckte das Handy in die Manteltasche.
Im Wohnzimmer schaute sie nach Pyschka, die friedlich vor sich hin schnarchte, die Beine wie ein Kind angezogen und die Wange in ein Sofakissen gedrückt. Die Decke war etwas zu Boden gerutscht, also zog Juna sie hoch und steckte den Rand behutsam ein, darauf bedacht, ihre Freundin nicht zu wecken.
Marc war nicht zu sehen. In einer Ecke hatte er eine Tischlampe angelassen, die den Raum in ein schummriges Licht tauchte. Juna las die Urkunden, und der Frieden dieses Hauses nahm sie immer mehr ein. Es musste schön sein, Eltern zu haben, die stolz auf ihren Sohn waren und dies auch zeigten. Es musste schön sein, überhaupt Eltern zu haben, nicht nur einen Taiji-Lehrer und eine verschwundene Mutter.
Als sie zurück aufs Zimmer wollte, fiel ihr Blick auf die Terrasse. Draußen brannte das Licht einer Wandlampe, die sie an eine altertümliche Straßenlaterne am Ufer der Newa in Sankt Petersburg erinnerte. Neben einer mannshohen, mustergültig geschnittenen Hecke, die den Garten vor Blicken von der Straße aus abschirmte, mit Sicherheit aber auch jeglichen Nachbarschnack über den Zaun hinweg unmöglich machte, stand eine Hollywoodschaukel mit knallrotem Bezug und großen, blauen Blumen darauf.
Er geht dir aus dem Weg.
Wollte er deshalb die ganze Nacht draußen auf der Schaukel verbringen? Das musste er nicht. Und wenn sie in sich hineinlauschte, kam ihr alles so einfach vor. Sie wollte mit ihm reden. Ihm endlich zuhören.
Sie beschloss, ihr Glück nicht bei der Terrassentür zu versuchen, sondern ging in den Flur. Die Eingangstür war noch nicht abgeschlossen. In einem Schrank mit
Weitere Kostenlose Bücher