Im Netz des Verbrechens
Reinigungsbenzin.
Ich führe die Hand unter den Kiefer, hebe das zerschlagene Gesicht an und spüre das warme, klebrige Blut an den Fingern. Mit etwas Glück fühlt der Mann nichts mehr. Nach den ersten Schlägen wird der Körper wie taub. Doch diese Berührung nimmt er noch wahr.
Der Mann reißt das verklebte Lid auf und lässt das linke Auge rollen. Durch den Knebel erklingt ein Stöhnen, als mühe er sich, etwas zu sagen, doch es gibt nichts, was Pawel noch von ihm hören will. »Neusheli eto bylo dejstvitel’no tak sloshno«, sagt er, als würde er jedes einzelne Wort genießen, »prismotretj sa bessaschtschitnoj dewuschkoj?«
Aus dem Rutsch von s- und sch-Lauten bleibt nur ein Wort in meinem Kopf haften: dewuschkoj . Was von dewuschka kommt. Eine junge Frau, ein Mädchen. Es ist, als ob ich ahne, welches. Als gäbe es nur sie.
Pawel richtet sich auf. Ich drücke das Gesicht nach oben, damit es dem Boss zugewandt bleibt. Wieder ertönt ein Stöhnen.
»Mein bester Mann. Mein Freund. Ich hätte dir mein Leben anvertraut. Wie lange kennen wir zwei uns schon?« Erneut erklingt ein Stöhnen. Pawel kräuselt die Nase und macht mir ein Zeichen. Erleichtert lasse ich den Mann los und mache einen Schritt zurück. Mit dem Fuß stoße ich gegen eine Holzfigur am Boden, die über die Späne schlittert und eine Wandleiste trifft. Ich hebe sie auf. Es ist einer der Hasen, von denen es hier auf den Regalen viele gibt. Der Mann, den die Stricke am Stuhl aufrecht halten, schnitzt wohl leidenschaftlich gern, wenn auch nicht sonderlich talentiert. Die Nager mit den Löffelohren und den Glubschaugen erinnern mich an Frankensteins Igor.
»Ja, wie lange schon …« Pawel faltet die Hände, legt beide Zeigefinger an seine Nasenspitze und blickt zur Decke. »Seit der sechsten Klasse, nicht wahr? Ich bin in diese neue Schule gekommen, nur für ein Jahr, aber du hast mich unter deine Fittiche genommen. Ich habe zu dir aufgeschaut. Dich vergöttert. Du hast mir alles beigebracht, damit ich werden konnte, was ich heute bin. Und unser kleines Unternehmen … hätte es ohne dich nie gegeben.«
Der Mann auf dem Stuhl stöhnt.
»Ich weiß, ich weiß das alles. Nur eine Sache nicht: Wolltest du mich tatsächlich hintergehen? Warst du wirklich so dämlich, hinter meinem Rücken ein doppeltes Spiel zu spielen? Oder magst du das Mädchen halt tatsächlich? Tz, tz, tz.« Er schaut sich über die Schulter. Der Vogel-Blick findet mich wieder, kein Schatten ist tief genug, um mich vor ihm zu verbergen. »Ej, Nemez, weißt du schon, was wir mit denen machen, die uns betrügen?«
Außer mir ist niemand hier, der die deutsche Sprache nötig hat. Der gesamte Vortrag gilt nur mir. Ahnst du, was ich von dir will, Janus ?
»Wir töten sie«, antworte ich.
»Genau. Kein Mädchen ist es wert, mein Lieber, dass man wegen ihr stirbt. Warum willst du uns nicht verraten, wer der Kleinen hilft?« Er lacht. »Aber vielleicht ist es gar nicht das Mädchen, das dich abtrünnig gemacht hat. Ich ahne schon lange, was hier gespielt wird. Ich sehe doch, wenn jemand anderen Befehlen gehorcht. Wer hat dich gekauft?«
Der Mann keucht und versucht, aus letzter Kraft seine Unschuld zu beteuern.
»Aber natürlich bist du mir treu geblieben! Nur … das Mädchen ist weg und unauffindbar. Wie konnte das passieren?« Pawel seufzt und deutet mit einer Geste auf die Regale, von denen die Igor-Hasen herabblicken. »Ich habe dir alles gegeben, was du wolltest. Dieses Haus. Deine kleinen Nutten. Mein Leben hätte ich dir anvertraut. Ja. Mein Leben.«
Pawel schweigt. Ein bisschen so, als möchte er all das nicht. Nur das unregelmäßige Schnaufen des Gefesselten stört die Stille. Und der plötzliche Rufton eines Handys.
Es ist nicht meins.
Pawel holt sein Handy aus der Innentasche des Sakkos und schaut auf das Display. Er nimmt ab. Lauscht. Schaut wieder auf das Display und legt auf. Langsam und sorgfältig verstaut er das Ding wieder in der Tasche. »Es ist Zeit. Oleg, du verstehst?«
Ich merke plötzlich, wie sehr es in der Werkstatt zieht. Und habe Gänsehaut.
Oleg.
In dem schwach beleuchteten Raum kann man ihn unmöglich erkennen, doch wenn das Oleg ist, geht es hier tatsächlich um Juna. Wer ist sie? Ich muss an diesen Film denken, den sie jedes Jahr zu Weihnachten zeigen. Die Wangen mit Asche beschmutzt, doch der Schornsteinfeger ist es nicht . Ich habe aufgehört, an Märchen zu glauben.
Sie will mir nicht mehr aus dem Kopf. Ihre zierliche Statur, die neben
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