Im Netz des Verbrechens
dunkel, fast schwarz aussehen. Das rechte Auge ist kaum zu erkennen. Hinter dem Gefesselten kommt Byk hervor und reicht mir eine angezündete West-Zigarette. Die Marke ist seine Lebensphilosophie. » Alles Best in West« , erklärt er mir mal wieder. Ich nehme einen Zug.
»Du – okay?«, fragt er weiter.
Ich gebe die Zigarette zurück. Wir sind Freunde. Zumindest solange er mich meinem Ziel näherbringt. Es riecht nach Reinigungsbenzin. Die Späne auf dem Boden, die überall verstreut liegen, sind nass. Byk lacht, was klingt wie ein startender Trabi. Ich kenne keinen Menschen mit fröhlicherem Gemüt als ihn.
»Niekkie! Nu, was?« Er legt seine Pranke auf den Schädel des Mannes, dreht den Kopf zur einen, dann zur anderen Seite. »Du ihn kennst noch? Sag!« ›Byk‹ kommt von ›Bulle‹ und genauso blickt der Typ drein. Eine gründlich misslungene Kreuzung zwischen einem plüschigen Hochlandrind und diesem russischen Profiboxer, Valujev. Besser bekannt als The Beast from the East .
Byk dreht den Kopf des Gefesselten noch einmal, murmelt »Chorosch, chorosch!« und tätschelt seine unrasierte, blutverkrustete Wange.
Ich erkenne ihn nicht. Dieses Gesicht würde nicht einmal die eigene Mutter erkennen. Es spielt auch keine Rolle, wer er ist, nur, was ich tun muss.
Ich ziehe meine Schnürsenkel fest. Als die Tür hinter mir knarzt, habe ich die Waffe schon in der Hand. Als ich mich umdrehe, stoße ich mit der Schulter gegen eins der Regale – etwas Kleines, Hölzernes fällt herunter und poltert auf den Boden. Hinter mir höre ich ein metallisches Klacken. Byk hat seine Waffe ebenfalls gezogen.
Aber es ist nur Pawel.
Seine marineblauer, leicht schimmernder Joop!-Anzug macht auch aus unserer kleinen Zusammenkunft ein richtiges Business-Meeting. Im Augenwinkel bemerke ich, wie der Kopf des Mannes kraftlos vor der Brust hin- und herbaumelt.
»Kto eto, Byk?« Der melancholische Blick von Pawels blassen Augen scheint mich zu durchbohren. Die Jungs nennen ihn Janus , der Mann mit mehreren Gesichtern. Mal wirkt er unscheinbar, mal jugendlich-naiv, als hätte er die Pubertät noch nicht allzu lange hinter sich. Manchmal ist er einfach nur betrunken. Keine Seltenheit bei diesen Russen.
Das Fußvolk trägt weniger wohlklingende Bezeichnungen. Es reicht nicht, dass die meisten russischen Namen Dutzende von Abwandlungen haben, die Leute geben einander auch noch Spitznamen. Byk heißt eigentlich Murtas, und es hat eine Weile gedauert, bis ich daraufgekommen bin, dass er auch auf ›Mursik‹ hört.
Was in Pawels Kopf vorgeht, verraten seine Augen nicht. Es ist schwer, unter diesem Blick ein Lächeln zu mimen. Jetzt heißt es: sich nicht rechtfertigen, sich nicht beschweren und schon gar nicht mit vermeintlichen Erfolgen prahlen. Kein unbedachtes ›nicht‹, ›nein‹ und auf keinen Fall ein ›aber‹. Inzwischen kenne ich die Spielregeln. Die meisten zumindest. Und der Rest wird mit Händen und Füßen erklärt.
»Niekkie-Nemez«, brummt Byk gutmütig. »Normalnyj pazan.«
Ich überschlage meine Russisch-Kenntnisse. Nemez heißt Deutscher, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was › normalnyj pazan ‹ bedeutet. Anscheinend jedoch etwas Besseres als › Loch ‹. Was mit denen gemacht wird, ist alles andere als beneidenswert.
»Nikki-Nemez«, wiederholt Pawel und sieht mich an aus seinem jungen, wachen Gesicht. Es ist, als würde er mich anfassen. Etwas Totes in mir. Ich halte seinem Blick stand.
Sein rechter Mundwinkel verzieht sich zu einem Grinsen, bevor jegliche Heiterkeit aus seinen Zügen weicht. »Ich hoffe, du weißt, was zu tun ist.« Er spricht akzentfrei Deutsch.
Ich sehe den Mann auf dem Stuhl an.
Pawel hinterlässt nur stumme Zeugen. Sein Blick hat etwas von einem Raubvogel: ohne jeglichen menschlichen Ausdruck.
»Hat er was erzählt?«, fragt er Byk. Byk versteht ihn nicht. Zumindest nicht alles. Also spricht Pawel russisch, woraufhin Byk den Kopf schüttelt.
Pawel beugt sich zu dem Gefesselten hinunter. »Nun lass dich doch mal ansehen.« Mit einer Hand macht er ein Zeichen. Byk rührt sich nicht, und als Pawel seinen kalten Vogelblick auf mich richtet, kapiere ich, dass ich gemeint bin. »Ich will ihm halt ins Gesicht sehen. Mach jetzt, oder muss ich ihn etwa anfassen?«
Byk macht Platz. Aus der Nähe kann ich die Verletzungen des Mannes besser erkennen. Er soll nicht daran sterben, wird mir klar, nur leiden. Seine Kleidung ist durchnässt. In einer Ecke entdecke ich eine leere Dose
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