Im Netz des Verbrechens
Studiomanagerin. Manchmal bringt sie Kay einige Sachen gleich in die Wohnung. Aber sie würde nicht mitten in der Nacht auftauchen, außerdem ist sie, glaube ich, mit Kay weggefahren.«
»Du hast geschlossen die Tür, ja?«
»Natürlich.« Sie runzelte die Stirn, legte sich die Hände um die Schultern, als müsse sie nach etwas Sicherem greifen. »Auch wenn jemand einbrechen sollte, warum würde er verschwinden, ohne auch nur die kleinste Spur zu hinterlassen?« Eine längst verflogene Angst schien ihre Gesichtszüge zu streifen, ein Gefühl von Verwundbarkeit in den eigenen vier Wänden, das einen unerwartet überfällt.
»War nichts«, beeilte sich Juna zu erklären. »Nur Traum. Hast du gehört schon von Nick?«
»Nein. Aber mach dir keine Sorgen. Weißt du was? Lass uns frühstücken. Ich sterbe vor Hunger.«
»Brötchen?« Sie nahm sich fest vor, sich nicht zu beschweren. Wie es sich herausgestellt hatte, zeigten sie beide keinen großen Appetit.
Den ganzen Morgen über schwebte das Thema Perles d’Or schattenhaft zwischen ihnen und grub sich immer tiefer in das Schweigen und die Lücken des gelegentlichen Smalltalks. Immer wieder verschwand Leah nach unten ins Studio, und Juna wusste nur zu gut, dass sie im Büro am Computer saß und über den Club recherchierte.
Am Abend sah Juna fern. Es liefen Nachrichten, irgendwo fand immer ein Krieg statt, und sie dachte darüber nach, wie fremdartig es sich anfühlte, dass die gewohnten Bilder von der deutschen Sprache untermalt wurden. Kurz darauf ging es um die EU und die Bundeskanzlerin – wie seltsam, an dieser Stelle keinen Putin zu sehen.
Zu spät bemerkte sie, das Leah verschwunden blieb.
Als sie ein Geräusch an der Tür registrierte und den Kopf hob, sah sie eine kleine, pummelige Frau mit platinblondem, glatt gegeltem Haar und sorgfältigem Make-up.
Die Frau schwieg. Also stand Juna auf und sagte entschlossen ›Hallo‹, in der Hoffnung, dass es sich nicht zu sehr nach einem klobigen ›Chah-lo‹ anhörte, sondern ähnlich luftig-leicht wie bei … Nick. Sie streckte sogar ihre Hand aus. Für alle Fälle. Aber die Frau ignorierte die Geste.
»Guten Abend. Sie sind also der ominöse Besuch, nun ja, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre nicht irritiert – jedenfalls hat Leah mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass sie heute Abend weg muss und erst spät zurückkommt. Sollten Sie etwas brauchen, können Sie sich gerne an mich wenden. Hm. Ja. Kaffee?« Die Frau zuckte die Schultern. Genervt? Beunruhigt? Gar bedrückt? Die Situation behagte der Dame nicht, das merkte Juna deutlich.
»Sie sind …«
»Elinor Martin, die Managerin des Fotostudios Dream Impressions , ja.«
Das nenne ich eine Auskunft. »Wohin musste Leah gehen?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, ich habe sie nicht gefragt, aber sie hat das kleine Schwarze angezogen, meine Güte, das könnte alles Mögliche bedeuten, denn die Behauptung, es passe für jede Gelegenheit, nimmt sie verdammt ernst.«
Das kleine Schwarze. Was war denn damit gemeint? Abgesehen von einem Slip fiel ihr nichts ein, was sie mit klein und schwarz beschreiben könnte. Andererseits war das nicht gerade ein Kleidungsstück, dem man im Gespräch so viel Aufmerksamkeit schenken würde.
»Was halten Sie nun von einer Tasse Kaffee, ich versichere Ihnen, wir haben den besten, den Sie je getrunken haben, eine richtige Symphonie für die Geschmacksnerven, absolut kein Vergleich zu dem sonstigen Krümelgebräu.«
»Nein. Danke.« Die Geschwindigkeit, mit der die Frau ihre Sätze heraushaute, war die reinste Folter für ihre Nerven. Sie brauchte unbedingt etwas Ruhe, um über Leah nachzudenken.
»Sicher? Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?«
»Nein. Danke«, wiederholte Juna und bereitete sich schon für ein nächstes ›Nein. Danke‹ vor, als die Frau die Schultern zuckte und abrauschte. Die Absätze klackerten irre schnell die Treppe hinunter, ein Teilchenbeschleuniger war nichts dagegen. Also war die Dame doch nicht mit dem Chef des Studios verreist. Und die ganze Zeit hier gewesen? Und warum musste Leah so dringend weg, ohne etwas zu sagen? Immerhin hatte sie einen Gast. Einen aufgezwungen zwar, aber auch der war zumindest grundlegender Höflichkeitsformen wert.
Sie musste an das Perles d’Or denken. War Leah heimlich verschwunden, weil sie Angst hatte, aufgehalten zu werden? Denn natürlich hätte Juna genau das versucht – es reichte schon der Tonfall, wie Nick den Club erwähnt
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