Im Netz des Verbrechens
hatte, und die Notiz an seinem Whiteboard, um sie zur Vorsicht zu gemahnen.
Sie sah sich die Nachrichtensendung zu Ende an und ging zum Treppenabsatz. Im Studio war nichts zu hören. Wo steckte die Managerin? Im Büro jedenfalls nicht. Sie schaltete den Computer ein, doch nachdem der Rechner hochgefahren war, begrüßte sie ein Log-in-Fenster. Da würde sie nicht weit kommen. Sie rollte im Bürostuhl etwas nach hinten und betrachtete den Notizblock und einen Kugelschreiber zu ihrer Rechten. Weil alles sonst so ordentlich war, fielen die Dinge umso mehr auf – die anderen Stifte steckten in einem dafür vorgesehen Stifthalter, und die Blöcke lagen vermutlich in einer der Schubladen. Sie schaltete die Tischlampe ein und untersuchte die erste Seite genauer. Das Blatt trug eindeutig Spuren einer Schrift, die der Kugelschreiber auf die Seite eingeprägt hatte.
Mit einem Bleistift schattierte sie die gesamte Fläche, um die Notiz sichtbar werden zu lassen. Perles d’Or , verriet die erste Zeile. Leahs Handschrift war um Einiges leserlicher als die von Nick. Kein Surrealismus, sondern ein deutlicher Klassizismus mit klaren Linien und ein Tick Romantik.
Darunter stand eine Adresse. Vom Club? War Leah hingefahren?
»Nein!« Juna warf sich gegen die Stuhllehne. Das ist schlecht. Das ist ganz schlecht. Sie hat doch nicht die geringste Ahnung, auf was sie sich da einlässt. Wenn sie unbedarft Fragen stellte und die Entführer vielleicht aufscheuchte … »Nein.«
Das Kleid lag im Wohnzimmer. Das verstärkte, geblümte Mieder und der voluminöse Petticoat-Rock aus schwarzem Spitzentüll und pinkem Organza passten nahezu perfekt zu den Farben des Clubs. Bei ihrer Erkundung des Studios hatte sie einen Visagistenraum entdeckt mit ein paar Perücken und genügend Make-up, um nicht gleich erkannt zu werden. Sie holte das Kleid und die Schuhe, wählte eine Perücke – einen kinnlangen Bob in aschblond, und häufte vor sich allerlei Lidschatten, Lippenstifte und Rouge-Döschen an. Daheim bevorzugte sie ein dezentes Make-up, das ihre blauen Augen betonte. Vergissmeinnicht , dachte sie mit den fest zusammengebissenen Zähnen, und ihr Kampfgeist wünschte sich insgeheim, ihren Entführer im Club zu treffen – um ihm sehr weh zu tun. Aber das … nein, das waren keine guten Taiji-Gedanken, und sie ließ sie mit einem Seufzen weiterziehen. Ihre Lippen hatte sie noch nie gemocht. Sie fand sie immer zu voll, obwohl einige ihrer wenigen Kommilitoninnen sie darum beneidet und ihr versichert hatten, ihre Lippen sähen ein bisschen wie die von Eva Mendes aus. Dieses Mal nahm sie den knalligsten Lippenstift, den sie finden konnte. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr Gesicht war irritierend bunt, man wusste gar nicht, wohin man schauen sollte – auf die betonten Augen, die bordeauxroten Lippen oder den frechen aschblonden Bob. Perfekt. Der Zirkus war wieder in der Stadt.
Das Kleid entpuppte sich als störrisch, und egal, wie sie sich verrenkte, der Reißverschluss hinten wollte partout nicht zugehen. Kurz überlegte sie, wie ein Klebeband rund um das Mieder aussehen würde. Bescheuert natürlich ! Sie gewann dem Reißverschluss noch ein paar Millimeter ab und musste sich damit zufriedengeben.
Im Flur wartete Elinor auf sie. Die Managerin versperrte ihr den Weg nach draußen und machte keine Anstalten, beiseitezutreten. Und dieser Blick hatte eindeutig zu viel von einem ›So nicht, junge Dame!‹-Ausdruck. »Es ist ein bisschen spät für Spaziergänge, finden Sie nicht auch?«
»Ich – eh – und Leah wollen in Club. Tanzen. Disco machen. Eh. Ein bisschen.«
Überzeugend klang anders. Das merkte anscheinend auch die Managerin. »Leah hat mich gebeten, auf Sie aufzupassen, und ich glaube nicht, dass sie damit gemeint hatte, Sie in solch einem Outfit nachts auf die Straße zu lassen.«
An dieser Bulldogge von Mensch kam kein Hundeflüsterer vorbei. Okay. Dann eben Plan B.
In der Wohnung machte sie das erstbeste Fenster auf und spähte hinaus. Die erste Etage war keine Herausforderung. Nicht einmal in Stöckelschuhen à la Sex and the City .
Auf dem Parkplatz stand ein einsamer Mazda. Vermutlich der von Elinor. Wohin jetzt? Auf gut Glück versuchte sie es geradeaus; eine Weile irrte sie durch das nächtliche Industriegebiet. Folgte ihr jemand? Sie war sich nicht sicher. Niemand zu sehen, doch das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ nicht von ihr ab. Sie nahm ihre Schuhe ab und rannte. Das Mieder schnürte ihren Brustkorb
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