Im Netz des Verbrechens
hier?«
»Nein Juna, das möchte ich nicht, aber ich kenne dich gut, und das, was du gerade tust, das bist nicht du.«
Sie hob ihr Glas. »Na dann, vielleicht entspricht mir das hier besser:
Ein Augenblick, ein wunderschöner:
Vor meine Augen tratest du,
Erscheinung im Vorüberschweben,
Der reinen Schönheit Genius.
Aber dieser Augenblick ist jetzt leider vorbei. « Sie stellte das Glas wieder hin. »Ich werde gehen und Pyschka finden. Und du wirst mich nicht aufhalten.«
Oleg nahm einen Schluck Wein, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Sie hätte nicht dieses Top mit solch einem Ausschnitt anziehen sollen. Aber als Oleg aufgetaucht war, hatte sie einfach nach dem erstbesten Teil aus ihrem Koffer geschnappt.
»Und das war’s?«, sagte er gedankenverloren. »Du servierst mich mit einem Puschkin-Zitat einfach so ab und gut ist?«
»Nein, es ist nicht gut. Nichts ist gut. Es tut mir leid, dass du wegen mir Tausende von Kilometern reisen musstest. Aber ich komme nicht mit dir zurück, bis ich nicht hinter die ganze Wahrheit gekommen bin. Ich will wissen, was mit Pyschka geschehen ist. Willst du das nicht auch?«
»Ich will dich.«
»Und du glaubst, du bekommst alles, was du willst?«
»Verdammt, Juna, was erwartest du jetzt von mir? Auch ein Puschkin-Zitat? Wirst du mir dann glauben, dass mir viel an dir liegt? Wie war das? Ich liebte dich … Warte. Ich … Genau. Ich liebte dich; und liebe wohl noch immer, denn ganz … erstarb’s in meiner Seele nicht …«
Sie tätschelte seinen Arm. »Lass gut sein.« Es hatte nur einen gegeben, der mit ihr Zitat-Gefechte austragen konnte, und das war Paschik. Paschik war ein bisschen Oleg, ein bisschen Alain Delon in seinen jungen Jahren und ein bisschen … gestiefelter Kater, der sie umschlich wie ein Tellerchen Sahne.
Oleg ergriff ihre Hand und schlang ihre Finger sanft um ihr Weinglas. »Bitte, Juna. Nur einen Schluck. Auf das, was zwischen uns war. Und einen auf dich und Pyschka, dass ihr beide bald unversehrt nach Petersburg zurückkommt.«
»Gut.« Sie führte das Glas zu ihren Lippen und nippte an dem Wein. »Reicht es?«
Er lächelte süffisant.
Wusste er, dass sie ihm nicht traute? Er wusste es. Vielleicht schon von Anfang an.
Der Wein schmeckte nach Pflaumen und der trägen Exotik ferner Länder. Ein angenehmes, weiches Aroma, das ihren Gaumen liebkoste. Sie sah durch ihr Glas und die Welt verschwamm in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Bis jetzt hatte sie nur ein paar Schlucke vom Kagor getrunken, dem dunklen, süßen Kirchenwein, den ihre Oma immer zu Feiertagen einschenkte.
»Sag mir, was du vorhast. Juna, bitte! Du weißt doch, dass ich dir nur helfen will, oder?«
Sie musste noch einen Schluck nehmen, sich sammeln. »Ich glaube, ich sollte jetzt wirklich gehen.«
»Du brauchst meine Hilfe also nicht? Wer hilft dir dann? Dein Vater?«
»Was weißt du schon über meinen Vater …« Die Luft schmeckte schwer wie der Wein, alles um sie herum verlor an Kontur, die Wände, die Menschen ringsherum, die Kellner, die ab und zu vorbeihuschten. Sie umklammerte das Glas mit beiden Händen und drückte es sich kühlend gegen die Stirn.
»Deswegen bist du so schnell mitten im Semester weggefahren? Hat dein Vater alles arrangiert?«
»Nein, Quatsch … Mitten im Semester … Ja … Die Prüfung in der Theorie der Fraktale und … wie heißt es? Per-ko-la-tion … soll der Hammer sein …« Mit beiden Händen drückte sie sich gegen die Schläfen. Seit wann verknotete sich ihre Zunge bei Worten wie Perkolation ? Sie schüttelte den Kopf. Was wollte er von ihr? Warum war sie hier?
Die Guzheng-Klänge im Hintergrund schwollen an. Sie rieb sich die Augen, musste sich orientieren.
»Juna?«
»Hm?« In ihrem Verstand rauschte alles. Sie war Alkohol nicht gewohnt, aber von einem einzigen Glas …? Vielleicht hätte sie weiterhin beim Kagor bleiben sollen und sich nicht …
»Ich bin für dich da, Juna. Du kannst mir alles erzählen.«
Die Hintergrundmusik benebelte ihren Verstand, alle Geräusche verschmolzen zu einem unsteten Strom, der sie ins Nirgendwo mitzureißen drohte. Sie bemühte sich, Oleg mit ihrem Blick zu fixieren, aber seine Silhouette entglitt ihr.
»Dass deine Freundin weg ist, tut mir wirklich sehr leid.«
»Weg … ja …« Sie wischte sich über die Wangen. Es war so stickig hier im Restaurant. Sie bekam kaum noch Luft. Atmen. Ganz ruhig atmen, Juna. Alles wird gut.
»Du kanntest doch Pyschka. Sie war kein beständiger Geist. Heute
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