Im Netz des Verbrechens
abzuwenden. Doch er zeigte kaum Reaktion. Sein Lächeln hielt sich wie eingefroren auf seinen Lippen.
Er schlürfte an seinem Espresso . Diesem Nichts von Kaffee in einer Puppentasse. »Iss dein Frühstück, Juna.«
Die Kellnerin kam wieder nach draußen. Sie brachte dem Mann mit der Sonnenbrille ein Fläschchen Mineralwasser und ein Glas, er bezahlte sofort. Juna wusste nicht, warum sie ihn so musterte. Lag es an der auffälligen blauen Verspiegelung seiner Sonnenbrille?
»Juna? Was ist los?« Pawel drehte sich leicht, um den Mann ebenfalls zu betrachten. Der nippte an seinem Wasser und schien sein Gesicht in der Sonne zu bräunen.
»Nichts.« Sie schüttelte den Kopf und schenkte sich aus dem Kännchen ein. »Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, unter Menschen zu sein.« Es sah nicht so aus, als würde es ihr gelingen, aus Pawel etwas herauszubekommen. Sie dachte an Nicks Whiteboard und die Kraniche. Was ist, wenn sie Pawel direkt damit konfrontierte? »Meinst du, die Krähe hat mit dieser Sache zu tun, Richtiges Blut , heißt es nicht so?«
Jetzt regte sich tatsächlich etwas in seinem Gesicht – die Furcht. Ein kurzer Anflug zwar, aber doch unübersehbar. Pawel hatte Angst – nur vor wem? Und warum schielte er zu Byk, als müsse er sich vergewissern, dass dieser nichts gehört hatte. Es war jedenfalls kein Blick, den man einem Angestellten zuwarf. »Was weißt du darüber?«, zischte Pawel.
Interessant. Er fragte, was sie darüber wusste, nicht woher. Nahm er an, sie könnte tatsächlich eingeweiht sein? Sie musste aufpassen. Nichts Falsches sagen und ihn dennoch verlocken, mehr preiszugeben. »Der Zug«, begann sie langsam. Ihre Finger spielten mit der Serviette. »Eine heftige Sache.«
»Du weißt tatsächlich eine Menge.«
Sie machte eine Pause, stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich zu ihm vor: »Ich bin kein naives Mädchen, das gezähmt werden kann. Hast du wirklich geglaubt …«
»Schon gut. Du überraschst mich, Juna, wirklich. Der Zug. Ja. Es war nur ein Spaß. Wir hatten eine kleine Party, die etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Aber es hat seinen Zweck erfüllt. Der Richter hat eingelenkt, Murtas ist freigekommen.«
Murtas. Ein Name aus dem Kaukasus. Wie Dshanan. Nein, es wäre falsch, nachzufragen. Sie nickte nur. »Ja. Der Bus war auch ein guter Job.«
Er stutzte. Mist. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Anscheinend.
Pawel lehnte sich zurück. Erneut warf er einen Blick zu Byk – der sie beide beobachtete. »Die Bombe im Bus? Aber Juna, wie kannst du nur glauben, ich hätte damit etwas zu tun? Es war ein terroristischer Anschlag.« Er leckte sich die Lippen ab, holte ein Plättchen Minz-Schokolade und legte es sich auf die Zunge. »Tja, heutzutage ist man einfach nirgends sicher!«
Ein terroristischer Anschlag. In was waren Nick und sie da bloß hineingeraten? Pawel ließ sie nicht aus den Augen. Nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Sie trank den Tee. Pawel – den Espresso. Und der Mann mit der Sonnenbrille genoss sein Wasser. Die Mütter lachten.
»Juna, du isst ja gar nichts.« Die Grübchen auf seinen Wangen verliehen ihm einen frechen, spitzbübischen Ausdruck.
Unter seinem wachenden Blick schnitt sie ein Brötchen auf und beschmierte eine Hälfte mit Honig. Sie hatte das Gefühl, jeden Bissen sechsunddreißig Mal durchzukauen, ganz wie die Ernährungswissenschaftler empfahlen. Und doch bekam sie kaum etwas runter. Schließlich entschuldigte sie sich und ging auf die Toilette. Byk folgte. Er überprüfte die Kabinen; überzeugte sich, dass sich das schmale, milchverglaste Fenster nur auf Kipp stellen ließ, und erlaubte ihr erst dann einzutreten.
Endlich allein, holte sie ihr Handy aus dem BH . Keine Nachrichten von Nick. Und kaum noch Energie. Daran, wie sie das Teil aufladen sollte, hatte er wohl nicht gedacht.
Sie öffnete eine leere Nachricht und tippte eine Warnung.
Wir kommen zurück. Pass auf
Nach dem Abschicken wusch sie sich das Gesicht und die Hände. Als sie merkte, wie ihr Make-up auseinander floss, beeilte sie sich, die Katastrophe mit den Papiertüchern in den Griff zu bekommen. Noch ein paar Minuten mehr für Nick.
Byk klopfte bereits von draußen an die Tür.
Sie musste raus. Byk begleitete sie nach draußen, wo Pawel bereits gezahlt hatte und in Aufbruchsstimmung auf sie wartete. Irgendetwas hatte sich verändert. Die kleinen Gesten verrieten eine ungewohnte Unruhe – wie er die Rechnung zusammenfaltete, bis nur ein schmaler Streifen davon
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