Im Netz des Verbrechens
vom Stoff eng umspannt, sodass darunter nicht einmal ein Taschentuch Platz gefunden hätte, ohne sich zu verraten. Sie steckte das Handy seitlich in den Push-up- BH , in der Hoffnung, dass die Bluse das Telefon gut kaschieren würde, machte vor dem Spiegel ein paar Dehnungen und Drehungen, um zu prüfen, ob es sicher genug verstaut war. Der BH hielt. Mit etwas Glück würde ihr Dekolleté Pawels Blicke von den verdächtigen Umrissen ablenken.
In der Schublade fand sie das Make-up und betonte ihre Augen. Den Lippen gönnte sie nur einen blassen Gloss. Auf dem Boden des Fachs fand sie die drei Cent-Stücke, die Nick ihr gegeben hatte. Was soll’s. Glück würde sie brauchen. Sie steckte die Münzen in das andere BH -Körbchen, strich ihre Kleidung glatt und warf ihrem Spiegelbild den letzten prüfenden Blick zu. Sieh es mal positiv , wandte ihr Kampfgeist ein, der Rock sorgt für genügend Beinfreiheit, um jemanden in den Arsch zu treten.
Pawel würde von dem Make-up und ihrem angetackerten Blend-a-med-Lächeln sicher entzückt sein.
»Oi, nicht schlecht!« Euphorisch begann Pyschka, in ihrem Haar herumzuzupfen. »Gut siehst du aus! Wunderschön! Ach, ihr wart schon immer ein so tolles Paar!«
»Nu hör jetzt aber auf. Komm.« Sie führte Pyschka aus dem Zimmer. Früher hatte sie ihrer Freundin nahezu alles erzählt und sich einen vielleicht nicht immer klugen, aber zumindest gut gemeinten Rat geholt. Jetzt steckte all das Ungesagte in ihrer Kehle und raubte ihr die Worte, und Pyschka ahnte nichts, zutraulich wie sie war. Sie hakte sich bei ihr unter und plapperte davon, wie gut bald alles sein würde.
Byk heftete sich sofort an ihre Fersen, schweigend und ohne sie daran zu hindern, Pawel aufzusuchen. Sie bemühte sich, ihm keine Beachtung zu schenken, doch seine Gegenwart bescherte ihr ein unangenehmes Kibbeln im Nacken. Wie er lautlos hinter ihr her schritt, wie sie seine Präsenz in ihrem Rücken spürte. Sie hatte den alten Schwarz-Weiß-Film über Heinrich VII . schon immer unheimlich gefunden, jetzt glaubte sie zu wissen, wie es sich anfühlte, in der Haut von Anne Boleyn auf ihrem letzten Gang zu stecken.
Vor Pawels Büro entdeckte sie Nick. Sein kühler Blick und der beinahe leblose Gesichtsausdruck mahnten sie zur Vorsicht. Es war nicht der Nick, der ihr die SMS schrieb und zugab, wie sehr er ihre Stimme hören wollte. Es war ein Fremder, den ihr Herzrasen nichts anging.
»Chef hier?« Sie lächelte ihn unverbindlich an.
»Selbstverständlich. Miss.«
Er sah sie nicht an.
Nach einem energischen Klopfen seinerseits tönte aus dem Büro das russische »Herein!«. Nick öffnete ihr die Tür.
»Danke«, hauchte sie ihm zu und ging an ihm vorbei. Ihre Hand streifte seine Finger, sie hoffte auf eine Erwiderung – vergebens. Pawel saß hinter dem Tisch, zurückgelehnt in seinem Sessel. Nachdenklich rieb er mit einem Zeigefinger seine Nasenwurzel. »Juna!« Zusammen mit dem Ausruf erhob er sich, ganz Gentleman. Heute trug er ein Hemd in altrosa, das seinem Teint schmeichelte, über die Schultern hatte er sich lässig einen Pullover geworfen. Mit einem Seitenscheitel in seinem ordentlich gekämmten Haar machte er auf braven Komsomolzen, den Vorzeige-Zögling aus Sowjet-Zeiten. Normalerweise hätte sich Pyschka bei diesem Anblick übergeben müssen, aber jetzt klimperte sie ihn mit ihren Wimpern an.
»Was führt die Damen zu mir?«, erkundigte er sich.
»Ich hoffe, du hast ein wenig Zeit für mich!« Das Lächeln hielt sich wacker auf ihren Lippen, als Juna auf ihn zuging. Seine Stirn legte sich in Falten, während er sie taxierte. Verdammt. Überspannte sie ihre Rolle nicht ein bisschen? »Ich halte es hier nicht mehr aus.«
»Nimm doch Platz.« Er deutete auf das Sofa. Sie setzte sich, erst dann kehrte er zurück zu seinem Sessel, sagte jedoch nichts.
»Paschik! Du kannst mich doch nicht ewig einsperren.«
Er stützte sein Kinn mit einer Hand ab, sein Ellbogen drückte eine Kuhle in das Leder der Lehne. »Juna, das hatten wir doch schon. Hab etwas Geduld. Bald ist alles vorbei, das verspreche ich dir.«
»Bald!« Sie rollte mit den Augen und hoffte, es genauso charmant wie Pyschka hinzubekommen. »Ich weiß, wir hatten ein paar Differenzen, das tut mir wirklich sehr leid.« Sie stand auf, beinahe selbst ergriffen von ihren eigenen Worten. »Lass uns von vorne anfangen.«
»Juna.« Pawel erhob sich ebenfalls und kam auf sie zu. Im Vorbeigehen fuhr er mit den Fingern durch ihr Haar, bog ihr den Kopf
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