Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
vielleicht widerstand Ellin Klor deshalb dem Reflex, die dicke Stricknadel sofort herauszuziehen, und wählte den Notruf. Eine gute Idee, denn der spitze Metallstab hatte ein Blutgefäß verletzt und verschloss die Wunde wie ein Korken. Hätte sie die Nadel herausgezogen, wäre sie binnen weniger Minuten verblutet. Ellin Klor blieb nüchtern und sachlich, lehnte den Vorschlag ihrer Freundinnen ab, sie mit dem PKW ins Hospital zu bringen, und wartete auf den Krankenwagen. Das war die zweite lebensrettende Entscheidung: Wenn die Nadel bei der Fahrt im voll besetzten Kleinwagen auch nur geringfügig bewegt worden wäre, hätte die Verletzung des Herzens tödliche Folgen haben können. Klor wurde also ins Krankenhaus gebracht, wo die Chirurgen ihre Brust aufschnitten, die Nadel aus der rechten Herzkammer herauszogen und das Loch im Herzen schlossen. Klor hat die Operation gut überstanden. Nach wenigen Tagen wurde sie entlassen.
Das hätte das Happy End der Geschichte sein können, aber manchmal ist ein Unglück erst der Beginn einer Rettung.
Zwei Wochen nach dem Unfall verspürte Klor plötzlich starke Schmerzen in der Brust und kehrte ins Hospital zurück. Die Ärzte vermuteten eine Lungenverletzung oder Infektion und durchleuchteten den Körper mit Röntgenstrahlen, Ultraschallwellen und Magnet-Resonanz-Tomograph und fanden rein zufällig einen kleinen Zellhaufen unter ihrer linken Achsel – ein Indiz für Brustkrebs. Zwei Tage später stand fest, dass Ellin unter einem sehr aggressiven und gut getarnten Tumor litt. Hätte sie sich nicht die Stricknadel in die Brust gerammt und so die genaue Untersuchung provoziert, hätten die Ärzte den Tumor niemals rechtzeitig gefunden.
Ellin Klor ist eine gemütliche Frau, die gerne backt und kocht und mit dem runden, weichen Gesicht und den grauen, widerspenstigen Haaren eher aussieht wie ein freundlicher Kobold und nicht wie ein Superheld, den man mit keinem Mittel umbringen kann. Aber genau das ist der Punkt. Ellin Klor ist der Held der 08/15-Menschen, die keinen Job in Krisengebieten haben und auch sonst wenig Krach und Lärm im Leben. Ihr Beispiel zeigt, dass man ruhig bleiben und nüchterne Entscheidungen treffen muss. Und dass auch ein großes Unglück einen positiven Effekt haben kann. Ellin Klor sagt: «Wir können uns selbst überraschen. Wenn es wirklich darauf ankommt, dann sind wir viel besser, als wir denken.»
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19. Atomkrieg A WIE ANGST
Auch ein Super-GAU oder Nuklearkrieg ist nicht das Ende der Welt. Überlebenstipps für eine strahlende Zukunft.
Im Frühjahr 2011 hatte der Fernsehzuschauer zuweilen den Eindruck, Ishirō Honda habe die Regie bei den Nachrichtensendern der Welt übernommen: Am 11. März erschütterte ein gewaltiges Erdbeben mit einer Stärke von 9,0 auf der Richterskala Japan, dann prallte ein Tsunami mit bis zu zehn Meter hohen Wellen auf die Nordwestküste der Inselgruppe und spülte Autos, Häuser und die Normalität weg. Rauchwolken, Feuerstürme, Alarmsirenen. Nur wenige Stunden später dann die nächsten schlechten Nachrichten: Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi brachen die Kühlsysteme und die Stromversorgung zusammen. Die Japaner sahen sich nach den Erdstößen und den tödlichen Wellen plötzlich mit einer neuen, unsichtbaren und unheimlichen Gefahr konfrontiert, gegen die konventionelle Maßnahmen des Krisenmanagements wie Evakuierungsplan, Notlazarett oder Sandsäcke nicht helfen. Auf den Bildschirmen und Titelseiten tauchten auf einmal Sätze auf wie «Super-GAU in Japan» und «Strahlenwolke auf dem Weg nach Tokio» – Sätze, die man sonst nur aus den Drehbüchern von Ishirō Honda kannte.
Honda war einer der einflussreichsten japanischen Filmemacher und hatte in den fünfziger Jahren die Godzilla -Reihe kreiert, in der das Unheil ebenfalls in den Tiefen des Ozeans entsteht. Godzilla ist ein etwa 100 Meter großes Reptil, das Wolkenkratzer zum Ringkampf fordert und aus dem Rachen atomare Strahlen hervorstößt. Godzilla wurde gemeinhin als unmittelbare Reaktion auf die Atombomben-Detonationen in Hiroshima und Nagasaki gedeutet. Insgesamt wurden mehr als 25 Filme mit der Endzeit-Echse gedreht, und Godzilla wurde im Laufe der Zeit nicht nur zum Pop-Phänomen und offiziellen «König der Monster», sondern auch zum heimlichen Maskottchen und Helfer der Japaner – im Film Befehl aus dem Dunkel (1965) beschützt Godzilla die Japaner vor einer außerirdischen Invasion, der Mutant wird vom großen Zerstörer
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