Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
zum großen Freund, genau wie die Atomtechnologie von der tödlichen Waffe zur produktiven Technik wurde, die in den Dutzenden AKWs Japans die Energie für das asiatische Wirtschaftswunder bereitstellte.
Was im Frühjahr 2011 passierte, glich aber einem Szenario aus den frühen Godzilla -Filmen von Ishirō Honda: Im Meer, in der Luft und im Grundwasser rund um Fukushima wurden extrem hohe Strahlenwerte gemessen. 50 tapfere Männer kämpften im Kraftwerk gegen die atomare Kettenreaktion, und ganze Städte und Siedlungen wurden evakuiert. Die Rettungsversuche und die Informationspolitik der Regierung und des Kraftwerksbetreibers wirkten zunehmend hilflos. Feuerwehrautos spritzten Wasser auf die brodelnde Materie, die Pressesprecher rieten den Menschen, in den Häusern zu bleiben und sich feuchte Baumwolltücher vor Mund und Nase zu halten. Wirksame Ratschläge gegen die radioaktive Strahlung, die bald auch in Trinkwasser, Milch und Agrarprodukten messbar war, hatten weder Kabinett noch Kraftwerksbetreiber oder der japanische Kaiser. Ihr Rat: Bitte bewahren Sie Ruhe und befolgen Sie die Anweisungen der Behörden – was vielen Menschen schwerfiel angesichts der Tatsache, dass selbst der militärisch-industrielle Komplex, der Klüngel aus Regierung und Energiekonzernen, keinen Schimmer zu haben schien, was in den dunklen Reaktoren vor sich ging.
Auch in Deutschland wurden im Frühjahr 2011 leicht erhöhte Spuren der radioaktiven Elemente wie Jod und Cäsium in der Luft gemessen. Bürger lernten Begriffe wie Millisievert kennen, suchten im Baumarkt nach Geigerzählern und fragten sich immer wieder verzweifelt: Kann ich jetzt noch mein Sushi essen?
Der Wissensstand über die Gefahren der Atomtechnologie und wirksame Gegenmaßnahmen war selbst im atomkritischen Deutschland erstaunlich gering. Kein Wunder: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn gibt zwar dicke Broschüren zu allen erdenklichen Gefahren heraus – Sonnenbrand, exzessives Duschen –, die Ratschläge für den atomaren Ernstfall aber muss man lange suchen. Sie sind versteckt in dem Heftchen Für den Notfall vorgesorgt – Vorsorge und Eigenhilfe in Notsituationen , ganz hinten, im Kapitel zu den sogenannten CBRN-Gefahren (chemisch, biologisch, radiologisch, nuklear). Im Falle von radioaktiver Strahlung solle man jedenfalls am besten in den Keller gehen: Die Strahlung selbst wird beim Durchdringen von Materie abgeschwächt. In Kellerräumen ist die Abschwächung durch die darüberliegende Erdschicht und die oberen Stockwerke besonders groß.
Die zurückhaltende Informationspolitik der Bundesregierung ist der doppelten Natur der Atomtechnologie geschuldet. Die Technik war immer schon Feind und Freund, Bedrohung und Verheißung, versprach die Apokalypse oder die Rückkehr ins Paradies, in dem sauberer und billiger Strom aus der Steckdose fließt. So warnte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble im Jahr 2006 zum Beispiel vor dem «sehr wahrscheinlichen Fall» eines Terroranschlags mit einer «schmutzigen Bombe». Gleichzeitig kämpfte die CDU für den Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg und erklärte die deutschen Atomkraftwerke für absolut sicher. Die Bürger sollten sich einerseits vor der Macht des Atoms fürchten und sie andererseits auch genießen und schätzen. Detaillierte Informationen über den atomaren Ernstfall, so offenbar die Meinung der Regierung, würden die Bürger bei diesem intellektuellen Balanceakt nur aus dem Gleichgewicht bringen. Die Botschaft lautete deshalb: Vertraut der Regierung und ihren Kontrollmechanismen und Sicherheitsprotokollen.
Gerade das fällt einem in der Zeit nach Fukushima jedoch schwer. Eine hilfreiche Informationsquelle stellen dagegen ausgerechnet ein paar Kinderbücher aus den achtziger Jahren dar. Die Sachbuchautorin Gudrun Pausewang schreibt in den Bestsellern Die Wolke und Die letzten Kinder von Schewenborn über die Gefahren des Atomkriegs und des Super-GAUs. Pausewangs Bücher galten damals zwar als Jugendliteratur, der schonungslos offene Stil und die Liebe zum brutalen Detail machen jedoch deutlich, dass es sich eigentlich um knallhart recherchierte Survival-Ratgeber handelt. In Die Wolke warnt Pausewang vor dem Problem unkontrollierten Fluchtverhaltens nach dem GAU: Der Protagonist Uli stirbt, als er mit seinem Fahrrad von dem Auto eines Flüchtenden überrollt wird. Wichtig ist auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber lügenden Innenministern, die sich für
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