Im Paradies deiner Kuesse
doch hatte er in seinem ganzen Leben nichts Vergleichbares gesehen. Nichts, was sich so leicht, fließend und anmutig bewegte. Außer vielleicht den Nordlichtern über der Arktis.
Finn seufzte leise. Vielleicht hätte er die Unterhaltung mit Dave doch fortsetzen sollen. Denn nun, da die beiden schliefen, war er mit seinen Gedanken allein.
Er hatte immer gedacht, Nat wäre die perfekte Frau für ihn. Was, zum Teufel, war schiefgegangen? Das konnte er einfach nicht begreifen.
Wahrscheinlich war er noch ganz benommen, denn sein Liebeskummer hielt sich in Grenzen. Natürlich war er traurig und enttäuscht – aber keineswegs so verzweifelt, wie er geglaubt hätte. All die traurigen Liebesballaden, die ständig im Radio gespielt wurden, schienen den Schmerz eines gebrochenen Herzens jedenfalls gewaltig zu übertreiben.
Der Furchtlose Finn würde überleben. Wie immer.
Allegra konnte nicht einschlafen. Schuld daran war das Trommeln der Regentropfen auf dem Blätterdach. Zumindest redete sie es sich ein. Nur der Regen und die Kälte. Und der harte Bambusboden natürlich. Sonst nichts.
Nicht das Gefühl, völlig fehl am Platz zu sein. Nicht die Anziehung zwischen ihr und dem Mann, der neben ihr lag. Nicht das Wissen, dass diese einseitig war. Nein, nichts davon störte sie auch nur im Geringsten.
Seufzend rollte Allegra sich auf den Rücken. Jede Bewegung schmerzte. Morgen früh würde sie sicher grün und blau sein. Wie sollte sie bloß in diesem Zustand tanzen?
Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz übel.
Tanzen.
In den nächsten sieben Tagen würde sie es ja wohl kaum tun. Also konnte es ihr doch auch egal sein, ob sie in Form war oder nicht. Diesen Samstagabend musste sie auf keiner Bühne stehen. Tamzin schwebte vor Freude sicher im siebten Himmel, weil sie ihren Part übernehmen durfte.
Unruhig setzte Allegra sich auf und umschlang die Knie mit den Armen. Wahrscheinlich waren alle schrecklich böse auf sie. Stephen. Ihr Vater. Der Choreograf. Der künstlerische Leiter des Opernhauses. Ewig könnte sie diese Liste fortführen.
Ich habe sie alle im Stich gelassen.
Ein nagendes Schuldgefühl machte sich in ihr breit. Im Grunde hatte sie sie schon viel länger im Stich gelassen. Wer brauchte schon eine Primaballerina – oder Tochter –, die einem seelenlosen Roboter glich?
Und zu allem Überfluss schien Finn sie auch nicht ernst zu nehmen.
Palmwedel schneiden und Seile flechten?
Offensichtlich glaubte er, sie könnte allein auf dieser Insel keine Sekunde überleben. Missmutig wandte sie den Kopf. Doch obwohl sie kaum zwanzig Zentimeter von ihm entfernt saß, konnte sie ihn in der Finsternis nicht sehen. Am liebsten hätte sie ihn angestoßen und ihm gesagt, dass er sich irrte.
Aber das tat sie natürlich nicht.
Vor allem weil sie fürchtete, er könnte recht haben. Ihrem bisherigen Leben entfliehen zu können war ein schöner Traum gewesen. Mehr nicht.
Zu dumm, dass es ihr erst jetzt bewusst wurde, wo sie auf einer gottverlassenen Insel im Regen saß! Zusammen mit einem Kameramann, der jeden ihrer Fehltritte filmte, und einem Mann, der sich überhaupt nicht für sie interessierte.
Und ihre Karriere konnte sie vermutlich auch vergessen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, in dieses verdammte Flugzeug zu steigen?
In diesem Moment drehte Finn sich auf die Seite, und ihr Herz begann wild zu klopfen. Langsam legte sie sich wieder hin, sodass sie einander zugewandt in der Dunkelheit lagen. Er war ihr so nahe, dass sie seinen warmen Atem an der Wange spürte.
Mir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Ich reagiere auf jede seiner Bewegungen, jeden Atemzug wie ein verliebter Teenager!
Zumindest vermutete sie, dass verliebte Teenager sich so benahmen. Sie selbst hatte ihre Teenagerzeit in Ballettsälen verbracht. Fürs Verliebtsein hatte sie damals keine Zeit gehabt.
Seelenlos …
Allegra schloss die Augen. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie Finns Nähe und sehnte sich nach ihm. Scheinbar hatte sie nicht nur die Gefühle, sondern auch die Hormone eines Teenagers. Ihre bisherigen Beziehungen waren nur kurz und wenig leidenschaftlich gewesen. Die Karriere ging immer vor.
Eines Nachts, als sie nach einem großen Auftritt nicht einschlafen konnte, hatte sie den Fernseher eingeschaltet und den Furchtlosen Finn gesehen. Und seitdem schwärmte sie für ihn wie ein Teenie für seinen Popstar.
Nur dass die meisten Teenager ihren Star lediglich auf einem Poster an der Wand anhimmelten … Aber nun war sie
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