Im Paradies der Suende
bleibende, durchscheinende, von Blättern gefilterte Licht verriet ihr die Tageszeit nicht.
Sie bückte sich, hob ihre Strümpfe und Strumpfbänder auf und schob ihre Schuhe mit den Fußspitzen zu sich. Als sie wieder anständig bekleidet war, nahm sie ihre Handschuhe. Wie er sie angestarrt hatte, als sie sie auszog - als hätte sie etwas besonders Verführerisches getan. Sie setzte ihren Hut auf und ließ die Bänder hinabhängen. Zuerst wollte sie herausfinden, wo sie im Haus etwas zu essen bekam. Vielleicht würde sie mit vollem Magen nicht mehr so dumm sein, sich mit einem Mann einzulassen, den sie kaum kannte.
Aber es war ihr weder riskant noch gefährlich vorgekommen. Sie erinnerte sich nur an einen einzigen unangenehmen Moment - als sie ihm klargemacht hatte, die Sache würde sich nicht wiederholen. Offenbar war Mac daran gewöhnt, in einer Beziehung das Sagen zu haben. Wenn man bei einer fünfminütigen erotischen Begegnung überhaupt von einer Beziehung sprechen konnte. Eigentlich waren es sogar nur zwei Minuten gewesen, um genau zu sein.
Immerhin konnte er gut küssen.
Sie folgte dem Weg vom See zum Haus, als sie hinter sich ein Fahrrad hörte. Sie drehte sich um, sah den Oberlakaien in Jeans und T-Shirt heranradeln und trat zur Seite, um ihn vorbei zu lassen. Doch er hielt neben ihr an.
„Na, Sie sind ja ein ziemlicher Anachronismus “, sagte sie, als sie sein Outfit und sein Rad sah.
„Eigentlich dürfte ich mich hier so gar nicht sehen lassen, Ma‘am“, gestand er lächelnd. „Aber der Weg hinten herum ist zu holprig für ein Fahrrad.“
„Wo waren Sie?“, fragte Lou. „Es geht mich natürlich nichts an, aber wie amüsieren Sie sich in Ihrer Freizeit?“
„Das erzähle ich Ihnen sehr gern“, antwortete er, stieg vom Rad und schob es neben ihr her. „Ich war im Dorf und habe mit meinem kleinen Bruder Fußball gespielt.“
„Wie nett von Ihnen…“
„Er ist ein lieber Junge“, sagte er und starrte die Lenkstange seines Fahrrads an.
„Haben Sie noch mehr Geschwister?“
„Eine ältere Schwester. Mein Bruder Graham ist sieben, und sie wird ganz nervös, wenn er die ganze Zeit um sie herumwuselt. Leider ist ihr Haus zu klein für uns alle. Und er braucht… Nun, ich bin ja da.“
„Leben Ihre Eltern nicht hier?“
„Meine Mutter ist weggezogen. Und mein Vater hat Probleme mit seinem Geschäft. Deshalb ist er ziemlich deprimiert.“
„Tut mir leid.“ Sie berührte sein Handgelenk. Verwirrt schaute er sie mit seinen klaren grauen Augen an. „Danke für Ihre Hilfe gestern Abend. Das weiß ich wirklich zu schätzen.“
„Schon gut.“ Er zuckte die Achseln. „Ich fahre jetzt besser zum hinteren Weg, Ma‘am.“ Mühelos schwang er ein Bein über sein Rad und bog in einen Seitenpfad ein.
Lou seufzte. Noch ein männliches Wesen, das vor ihr floh, nachdem es etwas zu viel über sich selbst verraten hatte. Ich bin ja da , hatte der Junge gesagt. Offenbar übernahm er die Verantwortung für seinen Bruder, und das in einem Alter, in dem er eigentlich die Welt und das Leben erkunden sollte. Stattdessen musste er sich um seine kaputte Familie kümmern.
Als Lehrerin war sie eine Expertin in der Kunst geworden, unausgesprochene Worte zu deuten. Oft hatten Studenten in ihrem Büro gesessen und stotternd zu erklären versucht, warum sie Prüfungen versäumt oder Aufsätze zu spät abgeliefert hatten. Dabei hatte sie gelernt, zwischen echten Problemen und den Lügen arroganter Faulpelze zu unterscheiden.
Das Haus erschien in ihrem Blickfeld, und sie erinnerte sich, dass an diesem Nachmittag ein Tanztraining stattfinden sollte. Sie stellte sich vor, wie die Gäste einander auf die Füße treten würden, und musste lächeln.
6. KAPITEL
Rob
Er stieß die Tür zum Schlafraum der Diener auf und schrie: „Hände von den Schwänzen, rein in die Livree!“ Um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen, schlug er kräftig auf den Gong, der neben der Tür stand.
Nach Chris‘ und Peters Ansicht war diese viktorianische Antiquität absolut ungeeignet dafür, im Gästetrakt eingesetzt zu werden. Aber Rob fand das Ding sehr nützlich, wenn er seine Untergebenen wecken wollte. Schon sehr früh hatte er gemerkt, dass er sich wie ein Blödmann benehmen musste, um sein Team auf Trab zu bringen.
Als der Gongschlag verhallt war, brüllte er: „Halb zwölf, meine Herren! In einer halben Stunde beginnt euer Dienst! Saubere Hemden und Krawattentücher! In zwanzig Minuten Inspektion in der
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