Im Paradies der Suende
Erschrocken sah sie sich um, als würden Paparazzi in dunklen Ecken lauern. „In alten Tagebüchern hier aus der Gegend oder in Briefen könnte vielleicht erwähnt sein, wer Paradise Hall damals besucht hat. Andererseits fand sich in solchen Dokumenten bisher kein einziger Hinweis, der bestätigt hätte, was so viele Leute glauben - dass Jane Austen tatsächlich eine Zeit lang hier gewohnt hat. Und wenn sie diesem Mann Briefe schrieb, dann stammte er vielleicht gar nicht von hier. Ich bin ziemlich sicher, dass er nicht zu den üblichen Verdächtigen zählt. Keinesfalls war es Tom Lefroy, ihre Bekanntschaft lag zeitlich früher. Die Popkultur hat diesen Flirt übertrieben dargestellt.“
„Aber Lefroy sagte, er habe Jane geliebt.“
„Klar, Jahre später, als sie eine berühmte Autorin war. Hättest du da nicht auch behauptet, du würdest sie lieben? Und ihr Galan war sicher auch nicht dieser Reverend Blackall. Er war der Geistliche, in den sich Jane eventuell mit Ende zwanzig in Devon verliebt hatte.“
„Warum nicht?“
„Das sagt mir ein Instinkt. Ich weiß, manche Kirchenmänner waren sehr weltlich eingestellt. Aber ‚Leidenschaft‘ und ‚Unbeständigkeit‘ - starke Worte, wie du sagtest. Dahinter scheint etwas Dramatisches zu stecken, vielleicht ein Verrat, wie Willoughby ihn Marianne in Janes Roman ‚Sinn und Sinnlichkeit‘ antut. Und es könnte auch einer jener Briefe gewesen sein, die man schreibt und dann zerreißt. Oder ein angefangener Brief. Die Rückseite des alten Papiers ist leer. Damals war Papier sehr teuer, jeder Schnipsel wurde beschrieben.“
„Und warum ist ausgerechnet dieser erhalten geblieben?“
Nachdenklich zuckte Lou die Achseln. „Nun, vielleicht hat sie den Brief zerrissen und in einen Kamin geworfen, in dem kein Feuer brannte. Und dann kam die Ratte, bevor das Dienstmädchen die Fetzen wegwerfen konnte. Mac, du bist ein ziemlich harter Typ, nicht wahr?“
„Ja. Warum?“
Lou grinste, ein wenig boshaft und zugleich entwaffnend. „Ist dir aufgefallen, wie hartnäckig ich drauf bestanden habe, diese antibakteriellen Feuchttücher zu benutzen?“
„Und?“
„Dieses schwarze Ding, das ich zunächst für eine Orangenschale oder ein Stück Leder hielt, hatte einen Schwanz. Vermutlich die Überreste eines Rattenbabys …“
Sein Magen drehte sich um. „Oh, mein Gott! Ich fürchte, ich muss mich übergeben!“ Mac zerrte das Taschentuch hervor und schleuderte es möglichst weit weg. „Das hast du die ganze Zeit gewusst?“
„Klar. Aber ich wollte dich nicht wegekeln.“
„Jetzt hast du es geschafft! Das ist ja widerlich!“
Sie konnten die Musik hören und die Tanzpaare sehen. Die meisten machten die Schritte, die Becky ihnen eingetrichtert hatte, so korrekt wie nie zuvor.
Lou brach in schallendes Gelächter aus.
„Okay“, sagte er. „Bist du wirklich sicher, dass du heute Nacht mit Rob schlafen willst?“
Lächelnd nickte sie. „Ich habe versprochen, ihm alles über Oralsex beizubringen.“
„Ach, du lieber Himmel! Erst die Ratte und jetzt noch das! So rächst du dich also an mir …“ Mac schüttelte den Kopf und holte tief Luft. „Lou, ich werde jetzt etwas sagen, was kein Jane Austen-Held jemals über seine Lippen gebracht hätte.“
„Ja?“
„Du hast mal gesagt, du wärst an einem Dreier interessiert.“
„Keine Ahnung, ob interessiert das richtige Wort ist …“
„Was soll‘s, zum Teufel? Lass mich mitspielen, wenn du‘s mit Rob treibst. Amüsier dich mit uns beiden !“
22. KAPITEL
Lou
„Treuloses Weibsbild!“, schimpfte Peter, als er Lou entdeckte. Sie schlenderte ins Foyer, nachdem die Musik verklungen war und die Tanzpaare sich zerstreut hatten. „Also bin ich wegen eines Heteros versetzt worden.“
„Mehr oder weniger. Tut mir leid, Schätzchen, Mac und ich hatten zu tun. Aber für den zweiten Tanz bin ich da. Verzeihst du mir?“
„Natürlich. Seid ihr zwei wieder zusammen?“
„Nein, keineswegs.“ Lou lächelte ihn an. O Peter, du wirst eine sensationelle Überraschung erleben . „Ich habe nur einen Tanz versäumt. Nicht einmal Jane Austens klatschsüchtige Nachbarinnen hätten da etwas hineingedichtet.“
Zu ihrer Überraschung küsste er sie auf die Stirn. „Freut mich, dich so glücklich zu sehen.“
„Ja, ich bin glücklich.“ Lou nahm sich ein Glas Limonade und trank es in einem Zug leer. „Und traurig zugleich, weil Julian nicht hier ist.“
„Mich bedrückt das auch“, sagte er und berührte den
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