Im Profil des Todes
würde ihren Schmerz vor ihm verbergen.
»Es ist alles in Ordnung, deine Mutter ist in Sicherheit«, sagte Joe. »Es gibt keinen Grund, beunruhigt zu sein.«
Aber sie war beunruhigt. Und Joe spürte es natürlich.
Aber es war nicht wegen ihrer Mutter. Wenn Joe sagte, dass sie in Sicherheit war, dann war sie in Sicherheit.
Es war nur ...
Vergiss es und schlaf. Wenn sie aufwachte, würden sie Mittel und Wege finden, den Kerl zu schnappen
und Bonnie nach Hause zu holen. Er war nicht unbe-siegbar. Er hatte einen Fehler gemacht, indem er zu Eve Verbindung aufgenommen hatte. Er hatte keine
Möglichkeit, ihr wehzutun.
Sie hatte keinen Grund, beunruhigt zu sein.
Sie hieß Jane MacGuire und war zehn Jahre alt.
Dom war vor wenigen Tagen auf sie aufmerksam ge-
worden, als er in der Sozialbausiedlung im Süden der Stadt herumgestreift war. Zuerst hatte ihr rotes Haar seine Aufmerksamkeit erregt, später dann ihre selbstbewusste Ausstrahlung. Sie lief die Straße entlang, als wolle sie die ganze Welt herausfordern. Das hier war kein sanftes Vögelchen.
Zu selbstbewusst, um Eve Duncan zu gefallen? Ihre eigene Tochter war völlig anders gewesen. Aber
schließlich war Bonnie Duncan auch nicht in vier verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen wie Jane
MacGuire. Sie hatte nicht lernen müssen, sich auf der Straße durchzuschlagen.
Er fuhr langsam hinter dem Mädchen her. Sie lief
entschlossen die Straße entlang. Sie hatte ein Ziel.
Plötzlich bog sie in eine Gasse ab. Ob er ihr folgen sollte und riskieren, dass sie ihn bemerkte? So groß war die Gefahr nun auch wieder nicht. Wie immer,
wenn er auf Jagd ging, hatte er sich vorsichtshalber verkleidet.
Er stellte den Wagen ab und stieg aus. Sie war eine zu viel versprechende Kandidatin. Er musste sich vergewissern.
Dieser Typ folgte ihr schon wieder.
Na, von mir aus, dachte Jane ärgerlich. Wieder einer dieser schmutzigen alten Kerle, die am Schulhof
herumhingen und schnell wegfuhren, wenn Jane den
Lehrer rief. Sie kannte die Gasse und konnte schneller laufen als er, wenn es nötig war. Schon am Tag zuvor hatte sie bemerkt, dass er ihr folgte, und hatte nur be-lebte Straßen benutzt. Heute war das nicht möglich.
»Ich bin hier, Jane.«
Sie entdeckte Mike zusammengekauert in einem gro-
ßen Karton an der Steinmauer. Er sah aus, als würde er frieren. Wahrscheinlich hatte er die Nacht in dem Pappkarton verbracht. Das tat er meistens, wenn sein Vater zu Hause war. Pech, dass der Alte ausgerechnet im Januar, wenn es eiskalt wurde, zurückgekommen
war.
Sie langte in ihre Jackentasche und reichte ihm das Sandwich, das sie am Morgen aus Fays Kühlschrank
geklaut hatte. »Frühstück. Ist schon ziemlich pappig, aber was anderes war nicht da. «
Sie sah zu, wie er das Essen hinunterschlang, und blickte sich um.
Der Widerling hatte sich im Schatten der Mülltonnen versteckt. Da gehörte er auch hin.
»Komm schon. Es wird Zeit, in die Schule zu gehen. «
» Ich geh nicht. «
»Natürlich gehst du mit. Willst du so dumm bleiben wie dein Vater? «
»Ich geh nicht. «
Sie spielte ihren Trumpf aus. »Da ist es wenigstens warm.«
Mike ließ es sich durch den Kopf gehen, dann erhob er sich. »Heute kann ich ja mal gehen.«
Sie hatte es nicht anders erwartet. Die Kälte und ein leerer Magen vertrugen sich nicht. Sie hatte selbst schon viele Nächte in solchen Gassen verbracht, als sie bei den Carbonis gelebt hatte. Das war ihre Pflege familie gewesen, bevor sie zu Fay gekommen war, und dort hatte sie gelernt, dass man sie gehen ließ, wenn sie nur genug Ärger machte, trotz des Geldes von der Sozialfürsorge. Die Sozialfürsorge war jederzeit bereit, ihnen ein anderes Kind zu besorgen, wenn es mit einem nicht klappte.
Fay war viel besser. Sie war zwar immer müde und
auch oft schlecht gelaunt, aber manchmal dachte
Jane, sie könne sie mit der Zeit vielleicht ins Herz schließen ... wenn sie lang genug bliebe.
Sie sah sich wieder nach dem Widerling um. Der ver-steckte sich immer noch hinter den Mülltonnen. »Heute Nacht solltest du dir einen anderen Schlafplatz suchen.
Es gibt eine Stelle in der Nähe der Union Mission. Ich zeig sie dir. «
»Okay. Gehst du jetzt zur Schule?«, fragte Mike. »Ich kann ja mitkommen.«
Er war einsam. Er war erst sechs und hatte noch nicht gelernt, die Leere zu ignorieren. »Klar. Warum nicht? «
Sie lächelte ihn an.
Dom war sich nicht sicher gewesen, bis er ihr Lächeln gesehen hatte.
Ein warmherziges und liebevolles
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