Im Profil des Todes
ziehst dich zurück, du schließt mich aus. Ich spüre es, verdammt. Was glaubst du wohl, wie lange ich das noch
... « Er trat zwei Schritte vor und packte sie an den Schultern. » Sieh mich an. Herrgott noch mal, sieh mich an und nimm mich endlich wahr, wie ich bin, und nicht, wie du mich sehen willst. « Seine Augen ...
Es schnürte ihr die Kehle zusammen, sie konnte kaum atmen.
»Ja. « Seine Stimme zitterte vor Erregung.
»Lass mich los.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme schwach.
Er verstärkte den Griff und ließ sie dann langsam wieder los. »Ich bin nicht blöd, nach all diesen Jahren werde ich jetzt nichts erzwingen. Aber du hast mich viel zu lang mit Mitleid an dich gekettet. Ich halte das nicht länger aus.«
»Mitleid? Ich habe dein Mitleid nie gewollt.«
»Wie hätte ich kein Mitleid empfinden sollen? Es hat mich gequält. Beim Essen, beim Schlafen. Es war trocken wie totes Laub, aber es war alles, was ich hatte.
Und jedes Mal, wenn ich dachte, ich würde es keine Minute länger ertragen, hast du erneut an mein Mitge-fühl appelliert und schon hing ich wieder drin.« Er hielt ihrem Blick stand. »Kein Mitleid mehr, Eve.«
»Ich gehe ins Bett.« Sie wich vor ihm zurück. »Wir können morgen früh darüber sprechen. «
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht nötig. Jetzt kann ich warten.« Er warf einen Blick auf die Couch.
»Ich pack mich hier hin.«
»Ein Schlafzimmer ist noch frei.«
»Das kannst du mir morgen zeigen. Jetzt ergreif die Flucht. «
Die Flucht ergreifen, ja. Sie war verwirrt und in Panik, und da war dieses merkwürdige Gefühl im Bauch. Und Joe, der Mistkerl, kannte sie so gut, dass er wahrscheinlich genau wusste, was in ihr vorging. »Wir sehen uns morgen früh.«
»Alles wird gut, Eve«, sagte er ruhig. Zum ersten Mal erschien der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. »Denk nicht darüber nach, lass es auf dich zukommen und eine Weile auf dich wirken. Ich bin derselbe Mann, den du seit zehn Jahren kennst. «
Doch als er eben auf sie hinabgesehen hatte, hatte sie sich gefühlt, als sehe sie ihn zum ersten Mal.
Wenn er sie berührte ...
Wie oft hatte er sie in den letzten zehn Jahren in den Armen gehalten? Voller Freundschaft und Zuneigung hatte er sie in ihrem Schmerz beruhigt und ihr geholfen, all die Nächte der Qualen und der Einsamkeit zu überstehen.
Aber noch nie wie jetzt.
»Gute Nacht«, murmelte sie und machte, dass sie aus dem Zimmer kam.
Verrückt, dachte sie, als sie sich auszog und ins Bett schlüpfte. Es durfte nicht passieren. Verdammt, Joe.
Du solltest nicht solche Gefühle haben.
Sie sollte solche Gefühle nicht haben.
Ihre Brüste spannten sich, reckten sich dem kühlen Bettlaken entgegen, und zwischen ihren Schenkeln
empfand sie ein unmissverständliches Prickeln.
Mist.
Doch nicht Joe. Sie wollte diese animalische Begierde nicht für Joe empfinden. Dafür war an dem Platz, den sie ihm in ihrem Leben zugewiesen hatte, kein Raum.
Sein Platz. Wo kam dieser Gedanke jetzt her? Konnte es sein, dass sie Joe vor lauter Angst, ihn zu verlieren, an den einzigen Ort in ihrem Herzen verbannt hatte, wo sie Nähe zulassen konnte? Wie unglaublich
selbstsüchtig von ihr.
Es konnte nicht wahr sein. Sie musste sich irren. Doch hatte sie nicht schon in jener Nacht im Motel in
Elijay gewusst, dass es noch etwas anderes zwischen ihnen gab, etwas, das sie nicht an die Oberfläche gelangen lassen wollte?
Vielleicht hatte Joe heute Abend nur einen vorüber-gehenden Aussetzer gehabt. Sicher würde er morgen wieder normal sein.
Aber was war mit ihr? Würde sie Joe jemals wieder so ansehen können wie zuvor? Als er sie festgehalten und mit solcher Intensität angesehen hatte, schien vor ihren Augen eine Verwandlung stattzufinden. Plötzlich war sie sich seiner bewusst geworden, seines Körpers, seiner sexuellen Ausstrahlung. Diese breiten
Schultern, die schlanke Taille, dieser Mund ...
Sie hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und diesen Mund berührt.
Hitze. Prickeln. Begierde.
Sie musste aufhören, in dieser Weise an ihn zu denken. Sie musste ihr Gleichgewicht wiederfinden und Joe klar machen, wie zerstörerisch es sein konnte, Be-stehendes über den Haufen zu werfen. Sie musste logisch vorgehen, einen kühlen Kopf bewahren ...
Sie war zu durcheinander, um logisch oder gelassen zu sein.
Verdammt, Joe.
Am folgenden Morgen lief ihr Joe frisch geduscht, in Jeans und Sweatshirt, die Haare noch nass, im Flur über den Weg.
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