Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
Vom Netzwerk:
und sein Gesicht ist wund, und die Decke tut ihm weh, denn die Wolle ist rauh und scheuert auf seinen Verbrennungen, aber er ist nicht lange bei Bewusstsein. Er wird sanft gewiegt, und manchmal weiß er, dass er auf einem Schiff ist, aber die meiste Zeit hat er keine Ahnung, wo er sich befindet. Über ihm schwingt sanft eine nackte Glühbirne. Er verliert das Bewusstsein, kommt wieder zu sich, und manchmal sieht er die beiden Russen, und er will das Mädchen wiederhaben, wer immer sie auch war, er will dieses Mädchen.

Colleen
    Ich bin in eine Decke gewickelt, und der Typ schreit mich an, ich zittere am ganzen Körper und meine Zähne klappern. Angefangen hat das Ganze damit, dass er den Motor abgstellt hat, damit ich die Laute der Alligatorenmännchen hören konnte. Es waren mehrere Männchen da, und sie erzeugten eine Vibration in ihrer Kehle, die wie ein Motor klang, wie Lust, so rufen sie die Weibchen; da sträuben sich einem die Härchen auf den Armen, und die Wasseroberfläche vibriert. Das Wasser war spiegelglatt, und dann stiegen plötzlich Wassertröpfchen auf, sie hüpften von der Wasseroberfläche, als fiele Regen, nur fiel das Wasser nach oben. Kleine Tröpfchen tanzten auf dem Wasser, und dazu gab es ein seltsam schrilles Geräusch, wie wenn man mit einer Amalgamfüllung auf Alufolie beißt, oder wie Fingernägel auf einer Tafel oder die Rolle einer Wäscheleine. So locken die Männchen die Weibchen an.
    Wir sahen ein paar vom Ufer ins Wasser gleiten, und Loyola erzählte von den Narben, die einige der alten haben, denn um diese Jahreszeit kämpfen sie manchmal, und zwar um die Weibchen. Er stellte den Motor ab, die Sonne ging auf, und wir ließen uns ein bisschen treiben, nachdem wir vorher in seinem Propellerboot dahingeflitzt waren, das Boot hüpfte auf dem Wasser und hob sich in die Luft, Gischt flog in alle Richtungen und Schlamm und Wasser spritzten. Wir sahen den Blaureiher, der offenbar schon seit Jahren dort im Sumpf lebt, er stand auf einem Baumstumpf, der mitten aus dem Wasser ragte, die krummen Äste der Bäume und das Spanische Moos spiegelten sich im schlammgrünen Wasser, und er fragte: Hast du deine Mutter angerufen?, aber ich antwortete nicht.
    Der Blaureiher schlug mit seinen riesigen, unförmigen Flügeln, und dann erhob er sich in die Luft und bewegte sich plötzlich ganz elegant. Loyola tuckerte zu einer kleinen Insel hinüber, einem Hügel mitten im Sumpf, gerade groß genug für einen Baum, und zeigte mir das Alligatorennest, ein Haufen Zweige und Gras und ein in den Boden gegrabenes Loch, und er hatte es davon, dass die Eier geschützt werden müssten und wie viele er hier wohl finden werde. Er kniete sich hin und schob die Zweige weg, nur mal gucken.
    Er war aus dem Boot ausgestiegen und hatte einen Stock dabei, die Mutter war gerade weg, und ich stieg ebenfalls aus dem Boot, wollte auf das Stückchen Land, wo er war. Ich hatte einen Fuß im Boot und einen auf dem Ufer, und das Boot glitt unter mir weg, und ich dachte, ich hätte Boden unter den Füßen, aber das war ein Irrtum.
    Das Wasser war tief, und ich schrie auf, ich spürte, wie sich irgendwelche Gewächse um meine Beine wickelten, er zog das Boot heran, und ich versuchte auf die kleine Schlamminsel zu gelangen, auf der er stand, aber der Boden gab immer wieder unter mir nach, er sprang ins Boot, und da sah ich, wie sich ein Alligator vom Ufer ins Wasser gleiten ließ.
    Ich hatte es vorher nicht gesehen, aber jetzt sah ich es. Ich meinte es zu sehen. Ein Schemen, das fast ganz unter die Wasseroberfläche sank, nur die längliche Erhebung auf seinem Rücken war noch zu sehen, es kam rasch näher. Es bewegte sich mit der gleichen Schnell-Langsamkeit, mit der sich Dinge in einem Traum bewegen, und tauchte jetzt ganz unter, doch dabei zog es eine weiche V-förmige Spur im Wasser hinter sich her, dieses unsichtbare Wesen, das da auf mich zuglitt.
    Und dann hatte er mich im Boot. Er langte über den Bootsrand und hievte mich herein, und wie er das machte, wie er mich da hochkriegte, weiß ich nicht. Ich verlor einen Schuh, und er brüllte mich an, ich sei ja wohl total bescheuert, verrückt und bescheuert, und dann hörte er auf zu brüllen und holte mir eine Decke, er heulte vor Wut, sein Gesicht war ganz verzerrt, und Tränen rannen ihm über die Wangen, und dann stand er einen Moment lang nur vor mir und tätschelte die Decke, vielleicht eine halbe Minute oder so, ich sagte seinen Namen, doch er reagierte nicht, und dann

Weitere Kostenlose Bücher