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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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aufgegeben, und er hatte einen erpresserischen Sexring mit aufgebaut, der sehr einträglich für ihn war und ihn letztlich sogar aus dem Gefängnis brachte. Das alles hatte er hinter sich, doch vor Ratten hatte er eine Sterbensangst. Das Schiff, auf dem er gekommen war, hatte von Ratten nur so gewimmelt, allerdings hatte er nie eine zu Gesicht bekommen.
    Das russische Schiff mit dreiundvierzig Seeleuten an Bord war in Harbour Grace vom kanadischen Staat beschlagnahmt worden. Die für Schiff und Besatzung verantwortliche Reederei war eingegangen und wie vom Erdboden verschwunden, die Lohnzahlung war ausgesetzt oder nicht mehr vorgesehen, und nach nur einer Woche im Hafen hatten die Männer ihre Vorräte und ihren Treibstoff restlos aufgebraucht.
    Als klar wurde, in welch misslicher Lage sich die Seeleute befanden, organisierte die katholische Kirchengemeinde von Harbour Grace ein Bingospiel, bei dem 600 Dollar eingenommen wurden, die Männer kamen an diesem Abend an Land, standen im Gemeindesaal herum und schauten beschämt und hungrig drein. Sie leerten die Schalen mit Salzbrezeln und Kartoffelchips, die auf den Kartentischen standen, wo Bridge gespielt wurde. Es gab Schüsseln mit einer Knabbermischung, und die Damen vom Ladies Auxiliary hatte Sandwiches zubereitet, die die Russen ebenfalls verzehrten.
    Das am Bingoabend eingenommene Geld wurde am folgenden Morgen einem der Russen ausgehändigt, und Mrs. Furlong, die Haushälterin des Pfarrers, die auch Gemeinderätin war, fuhr mit dem Schiffskoch zum Supermarkt und brachte ihn danach mit den gemeinsam erstandenen Vorräten an den Hafen.
    Alle rechneten damit, dass sich die kanadische Regierung schnell der Seeleute annehmen würde, doch am darauffolgenden Wochenende standen die Männer wieder ohne Vorräte und ohne Strom da, und so wurde ein zweiter Bingoabend veranstaltet, an dem genug Geld eingenommen wurde, um Lebensmittel für eine weitere Woche zu besorgen.
    Der Gemeinderat kam zu einer Notsitzung zusammen, auf der Mrs. Furlong berichtete, sie habe von dem Gentleman, mit dem sie einkaufen gegangen sei, erfahren, dass das Schiff von Ratten wimmelte. Sie erzählte, sie hätten im Supermarkt mehrere Dosen Baked Beans gekauft, doch die Russen äßen sie kalt, direkt aus der Dose.
    Jemand wies darauf hin, dass das am Bingoabend eingenommene Geld ursprünglich für den Kauf neuer Computer in der Stadtbücherei bestimmt gewesen sei.
    All diese Äußerungen wurden im Protokoll der Gemeinderatssitzung festgehalten, das am nächsten Morgen an die Gemeinderatsmitglieder, die Presse und weitere Angestellte der Stadtverwaltung verteilt wurde, eine Kopie ging auch an die Schiffsbesatzung, und da erfuhr Valentin von den Ratten, von denen er bis dahin nichts geahnt hatte, bekam schreckliche Angst und wusste sofort, dass er das Schiff verlassen musste.
    Am nächsten Tag ruderte er an Land, ging um zwölf ins Family Restaurant und setzte sich neben ein in die Wand eingelassenes Vivarium, in dem sich acht Wellensittiche befanden, blau und gelb und limonengrün. Die Rückwand des Käfigs war mit einem Poster beklebt, auf dem sechs Kätzchen zu sehen waren. Die Wellensittiche saßen die meiste Zeit reglos da, die Augen geschlossen, die Köpfchen auf die Seite gelegt. Man hätte sie für ausgestopft halten können, wären da nicht die von Vogelscheiße verkrustete Glasscheibe und das Schild in der Ecke gewesen, auf dem mit Kugelschreiber stand: Bitte nicht an die Scheibe klopfen.
    Es war laut im Schnellrestaurant, und die Bedienungen sprühten die Plastiktischdecken mit Windex ein, sobald sie das Geschirr abgeräumt hatten, und wischten energisch nach, doch der stechende Geruch des blauen Reinigungsmittels blieb über Valentins Tisch hängen und vermischte sich mit dem Geruch nach Soße, Pommes Frites und warmer Stickluft.
    Valentin bestellte sich ein warmes Truthahnsandwich. Es wurde mit Karotten, Erbsen und Soße sowie einem Klacks Cranberry-Gelee serviert, in dem sich noch die Rillen der Dose abzeichneten. Er aß schnell, wischte den Teller mit dem Brötchen, das zum Essen gereicht wurde, sauber und schob den Teller dann mit dem Daumen weg. Er hatte sich einen Zipfel der Papierserviette in den Kragen gesteckt und als er sich jetzt umschaute, sah er, dass niemand sonst das getan hatte, also nahm er sie ab.
    Die Bedienung kam, um seinen Teller abzuräumen, und fragte, ob er die Rechnung wolle, worauf er sagte, dass er gern am nächsten Tag bezahlen würde. Er zog seine Uhr aus und

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