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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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auszurenken.
    Zwar hatte David seiner alten Firma letztlich doch nicht gesagt, sie solle sich die Stelle in den Arsch schieben, wie Colleen es ihn vor dem Badezimmerspiegel hatte üben sehen, das Kinn zur Decke gereckt, während er erbost an seinem Krawattenknoten zerrte, mit zusammengebissenen Zähnen und einer Miene, als wollte er sich strangulieren, aber er war bitter und verhärtet an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt.
    Die Firma stellte ihn zu fast dem Doppelten des zwei Jahre zuvor bezahlten Gehalts wieder ein. Er musste für die Arbeit reisen, war einmal im Monat unterwegs.
    Beverly erhielt Anrufe aus Provo, Utah, wo die Frauen David zufolge athletisch, blond und leicht weggetreten waren.
    Hier kriegt man nirgends einen Drink, sagte er. Während des Telefonierens machte er Liegestütze, ächzte nach jedem Satz. Er rief aus Texas an, um zu sagen, dass es dort furchtbar winde. Er habe die Fenster zum Innenhof aufgemacht, der Wind sei richtig belebend.
    Lange weiße Vorhänge bauschen sich ins Zimmer, sagte er. Sie hörte ein Scheppern.
    Oje, sagte er. Jetzt ist der ganze Boden voll Porridge.
    Er rief aus Irland an, und als sie auflegte, hörte sie aus dem Wohnzimmer Radau, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals; ein Vogel war durch den Kamin ins Haus geflogen, ein unmissverständliches Todesomen.
    Als sie das nächste Mal mit David sprach, war er in Berlin, und da erzählte er ihr, er habe in Irland am Rand eines Kliffs gestanden, in einem kleinen Dorf voll uralter, aus Stein erbauter Druidenbehausungen, und der Wind, der durch die Ritzen pfiff, habe geklungen wie Stimmen, er habe einen Schwindelanfall erlitten und fast aufgegeben.
    Aufgegeben?
    Ich hätte springen können, sagte er.
    Irgendetwas in Irland hatte ihn in Bann geschlagen, daran erinnerte sie sich noch. Irgendetwas hätte ihn fast mit sich fortgezogen. Im Hintergrund hörte sie Technomusik, ein Geräusch wie von Registrierkassen oder Klimaanlagen oder Hunderten von Frauen, die einem Orgasmus entgegenkeuchen.
    Ich bin in einer Untergrundbar, sagte er.
    Wieso Untergrund?, fragte sie. Sie sah Katakomben und Ratten vor sich.
    Illegal, sagte er. Sie wandert, es gibt sie eigentlich gar nicht.
    Ist dir immer noch danach aufzugeben?, fragte sie.
    Das war Irland, sagte er. Berlin besteht aus zerbrochenem Glas und BMWs. Sie tastete auf dem Nachttisch nach ihrer Brille. Sie hatte ihm nichts von dem Vogel gesagt. Dabei hatte sie die sechsundachtzigjährige Mrs. Fowler von nebenan, die früher an der Universität Botanik unterrichtet hatte, bitten müssen, zu kommen und ihn zu fangen. Mrs. Fowler hatte Parkinson und kam mit ihrem Rollator herübergestolpert, an dem ein durchsichtiger Plastikbeutel mit Urin hing. Sie stellte sich mitten ins Wohnzimmer. Sie trug eine lilafarbene Strickjacke mit einem großen Fleck, der nach Erbsensuppe aussah, und ihre Brille hing an einem roten Satinband.
    Der Vogel stieß zweimal im Sturzflug auf sie herab, dann hockte er sich auf die Vorhangstange, neigte den Kopf und zwinkerte neugierig. Mrs. Fowler schob langsam ihre zitternde Hand in die Tasche ihrer schwarzen Polyesterhose und zog eine Plastikpfeife hervor.
    Die Hand wackelte heftig, die Pfeife fiel zweimal zu Boden, und Beverly hob sie auf und wischte sie ab. Als Mrs. Fowler die Pfeife schließlich zwischen den Zähnen hatte, blies sie mit aller Kraft hinein, und ein gellendes, jenseitiges Trillern ertönte. Der Vogel warf sich an das gegenüberliegende Fenster und plumpste auf den Boden.
    Sie haben ihn umgebracht, flüsterte Beverly. Mrs. Fowler schloss die Augen und versuchte etwas zu sagen.
    Ich bin mir zurzeit oft so unsicher, sagte sie. Beverly hob den Vogel vorsichtig auf, und das Köpfchen kippte an ihrem Finger zur Seite, doch unter ihrem Daumen spürte sie seinen rasend schnellen Herzschlag.
    Ich weiß nicht, wer Sie sind, meine Liebe, sagte Mrs. Fowler. Gab es denn keine Krankenschwester oder sonst irgendjemanden, der die arme Frau begleitete? Wie war sie durch die Hecke gekommen? Bis vor ein paar Jahren hatte Mrs. Fowler jedes Jahr eine Gartenparty für die Nachbarschaft veranstaltet. Sie hatte Punsch in einer Kristallschüssel serviert, in der Zitronen- und Orangenscheiben schwammen. Hinten im Garten hatten die Leute Dope geraucht. Mrs. Fowler hatte Jeans getragen, und vor zehn Jahren hatte sie noch am New York Marathon teilgenommen. Was war geschehen?
    Der Herzschlag des Vogels machte Beverly Angst, er war so schnell und panisch. Der Herzschlag sagte, dass der

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