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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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hatte reden hören, und kaufte sieben Kartons mit gestohlenen Zigaretten; zur Abendessenszeit war er dann wieder auf dem Schiff und verkaufte den anderen Seeleuten die Zigaretten päckchenweise oder einzeln, und am Ende des Abends hatte er 500 Dollar. Er fuhr nach St. John’s, mietete sich ein Zimmer und schlief auf dem Boden. Ehe er Harbour Grace verlassen hatte, war er noch ins Family Restaurant gegangen und hatte seine Rechnung beglichen. Er fragte nach der Bedienung, die ihm sein Essen gebracht hatte, doch sie war nicht da. Er ließ ein protziges Trinkgeld für sie zurück. Das war jetzt sechzehn Monate her.

Mr. Duffy
    Dieses siebzehnjährige Mädchen war in den Wald gelaufen, dachte Duffy, hatte seine Bulldozer gefunden und hätte sie fast zerstört. Letztlich richtet Zucker keinen großen Schaden an, aber sie hatte eindeutig versucht, sie zu zerstören. Sie musste die ganze Nacht gelaufen sein. Anfang Juli konnten die Nächte noch ziemlich kühl sein; wahrscheinlich hatte sie nicht geschlafen. Die Mutter hatte angerufen und gefragt, ob sie bei dem Treffen dabeisein dürfe.
    Ich will die Mutter nicht dabeihaben, schrie Duffy die Sozialarbeiterin an. Es ist der falsche Moment für die Mutter. Die Mutter hätte zur Stelle sein sollen, als ihre Tochter Zucker in meine Baufahrzeuge geschüttet hat. Wo war sie da, die Mutter?
    Er saß in einem Sperrholzschuppen mit nur einem Fenster, im Hintergrund waren Kettensägen und umstürzende Bäume zu hören, und er wurde von Insekten zerfressen. Er klatschte sich Insektenschutzmittel auf die Arme, die ungut glänzten. Schweiß rann unter seinem Schutzhelm hervor, kitzelte an seinem Haaransatz. Das harte Plastikband im Innern des Helms war feucht und grub sich in seine Stirn. Er hätte den Helm beim Telefonieren abnehmen können, aber man vergisst so leicht, ihn wieder aufzusetzen. Nie den Helm abnehmen, sagt er immer. Sein Hemd klebte ihm am Rücken.
    Er hatte einen Lastwagen und einen Kran mieten und vier Mechaniker kommen lassen müssen. Ein Mann, dessen einer Finger nur noch an einem Stück Haut hing, hatte vor seiner Tür gestanden, und beim Anblick von Blut wurde Duffy immer ganz anders zumute. Das waren so die Dinge, mit denen er sich am Vormittag herumgeschlagen hatte. Er musste schreien, um sich verständlich zu machen, aber die Sozialarbeiterin war milde und bemüht, und das nutzte er aus.
    Der Sinn dieses Treffens, sagte die Sozialarbeiterin, besteht darin, dem Vorfall ein menschliches Antlitz zu geben.
    Die Mutter interessiert mich nicht!, rief er. Bringen Sie mir das Mädchen. Wenn sie ein menschliches Antlitz will, werde ich ihr eins zeigen.
    Doch die Mutter hatte ihm in der Tiefgarage des Atlantic Place aufgelauert. Duffy sah, dass sie eine attraktive Frau war; ihr rehbraunes Kostüm saß wie angegossen, dazu ein duftiger Schal und spitze Schuhe mit hohen Absätzen, wie sie die Frauen in Montreal dieses Jahr alle trugen. Selbst ohne die Stöckelschuhe war sie bestimmt sieben, acht Zentimeter größer als er. Duffy mochte große Frauen. Es gefiel ihm, wie sie in einem Konferenzraum oder einem Ballsaal die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es gefiel ihm, wenn eine Frau sich auch während einer Hitzewelle noch elegant zu kleiden wusste.
    Ich bin Beverly Clark, sagte sie. Geborene Holden. Ich glaube, meine Mutter war mit Ihrer Familie bekannt. Die Holdens aus dem East End. Die Familie meines Vaters hat den Meat Market betrieben.
    Selbst in der Tiefgarage, wo Duffy es sich etwas kühler vorgestellt hatte, war die Luft stickig, und es roch nach warmem Teer und Abgasen.
    Beverly Clark direkt vor sich zu haben nahm ihm den Wind aus den Segeln. Er sah sich nach der Tochter um.
    Ich habe meine Handtasche vergessen, sagte Beverly und legte ihm die Hand auf den Arm. Colleen ist schon oben.
    Sie versuchte ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, so wie sie da ihre Hand auf seinen Arm legte, und das ärgerte ihn. Er wollte, dass die Tochter bei dem Treffen seine keineswegs unbeträchtliche Macht in ihrer ganzen Tragweite zu spüren bekam. Sie hatte sich nicht friedlich für die Umwelt eingesetzt, sondern sie hatte Gerry Duffy verärgert, und er war fest entschlossen, ihr den Unterschied klarzumachen.
    Minderjährig, so ein Quatsch, dachte er. Er hatte mit fünfzehn draußen am Hafen Salzfisch verkauft. Hatte für seine verwitwete Mutter gesorgt. Jedenfalls galt sie als verwitwet, dabei war sie es vielleicht gar nicht – sein Vater war in einem Schneesturm davonspaziert und

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