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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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wiederfinden und mit seiner eigenen Hilflosigkeit konfrontiert sein würde. Dafür würde er sorgen. Neben den Müllsäcken stand ein Sessel, der mit rosa Baumwollsamt bezogen war und nagelneu aussah, er hatte weder Flecken noch Kratzer, und auf seiner Rückenlehne hockte eine Möwe. Valentin dachte an seinen Sohn, hob ein Stück Rohr auf, schwang es über dem Kopf und brüllte aus Leibeskräften. Er schleuderte das Rohr in Richtung der Möwe auf der Sessellehne, und die Möwe stieg etwa einen halben Meter in die Luft, um dem trudelnden Metallstück auszuweichen, und ließ sich dann erneut nieder.
    Manchmal schlief der Junge beim Fernsehen auf Valentins Brust ein, und der gleichmäßige Atem des Kindes rührte Valentin im Innersten an, es atmete tief und sanft und voll Vertrauen. Valentin hatte beschlossen, dass der Junge nie erfahren würde, wie sein Vater wirklich war. Mit fortschreitendem Alter seines Sohnes würde Valentin sich immer seltener in der Wohnung blicken lassen und so allmählich eine Distanz zwischen sich und dem Jungen schaffen. Doch er würde für den Jungen aufkommen, ihn aus der Ferne im Auge behalten, Geld schicken und ihm eine Ausbildung finanzieren.
    Valentin liebte es, dem Jungen durchs Haar zu fahren oder eins seiner Füßchen in der Hand zu halten. Seine widerspenstigen Locken unter den Fingern zu spüren. Er liebte den Geruch des Kindes.
    Die Möwen waren sehr groß, sie rissen an den Mülltüten, pickten Löcher hinein und zerrten den Inhalt heraus. Er sah, wie eine Möwe ein Hühnergerippe aus einer der Tüten zu ziehen versuchte. Sie schlug heftig mit den Flügeln, doch es hing in der Tüte fest, und dann gab die Tüte nach und das Gerippe rutschte heraus, die Möwe schleuderte es kreischend auf den Boden, hieb mit dem Schnabel darauf ein und ließ schließlich davon ab.
    Der Gestank wehte in dichten Wolken heran, verschwand, kam wieder. Valentin entdeckte einen Herd, bei dem noch ein rot-weiß kariertes Geschirrtuch über der Chromstange an der Ofentür hing. Er sah sechs Pappteller mit Resten von Soße, grünen Erbsen und Karottenwürfelchen herumliegen, den gleichen tiefgefrorenen Erbsen und Karotten, die Teil seines Mittagessens gewesen waren. Das leuchtende Orange der Karotten auf den weißen Tellern hatte etwas Schwirrendes, Bedrohliches, und er musste den Blick abwenden.
    Er verließ die Straße und lief etwa zehn Minuten über die Berge untergepflügten Mülls, die Möwen wurden zahlreicher, und er spürte den Luftzug ihrer Flügel am Kopf. Vor Möwen hatte er keine Angst. Auf den fernen Hügeln sah er schmale, ins Gras getrampelte Pfade, und er wusste, dass es Rattenpfade waren, wahrscheinlich mehrere Jahre alt, wenn es dunkel wurde, würden die Ratten den Hügel herunterströmen wie Öl.
    In weniger als drei Stunden hatte er zwei Säcke mit Kupferrohren und Messingbeschlägen gefüllt. Dann trampte er nach St. John’s und machte die dortige Filiale von Whites Salvage ausfindig, wo er die Metallteile für 187 Dollar verkaufte.
    Zwanzig Minuten vor Geschäftsschluss fand er den Laden der Heilsarmee und kaufte sich ein Jackett, eine Jeans und ein weißes Hemd, das unter den Armen zwar etwas vergilbt war, aber gut saß. Valentin ging auf die Ladentoilette und sah ein noch verpacktes Stückchen Seife auf dem Waschbecken liegen, er wickelte es aus, entkleidete sich komplett und wusch sich am ganzen Körper, sogar die Füße. Er trocknete sich mit Papierhandtüchern ab, zog die neuen Kleider an und riss die Preisschilder ab.
    Die Frau, die ihm den Anzug verkauft hatte, hämmerte gegen die Tür und rief, er solle herauskommen, sie wollten schließen, und er sei jetzt lang genug da drin gewesen.
    Sie stand draußen vor der Tür und wartete, während er reglos drinnen stand, aus unerfindlichen Gründen war ihm der kalte Schweiß ausgebrochen, als er ihre Fäuste an der Tür hörte. Er stopfte seine alten Kleider in den Abfalleimer und riss die Tür auf, und das erschreckte wiederum sie, im Laden waren schon alle Lichter aus, und sie waren allein in dem Gebäude.
    Valentin ging in eine Bar in der Innenstadt, bestellte fünf Schnäpse und setzte sich vor ein Schachbrett. Abends um elf hatte er in vier verschiedenen Bars vierzehn Partien gespielt und alle gewonnen, und jetzt hatte er 325 Dollar in der Tasche.
    In dieser Nacht schlief er in seinen neuen Kleidern auf einer Bank im Bannerman Park.
    Am nächsten Morgen ging er zu einer einschlägigen Adresse in der Gower Street, von der er

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