Im Rachen des Alligators
nicht mehr zurückgekommen. Mit fünfzehn stand Gerry jeden Morgen um fünf auf und buk Brot, und an den dunklen kalten Winterabenden lieferte er Lebensmittel aus. Nachts putzte er im Hotel New Foundland, und in der Schule hatte er immer nur die besten Noten, bis er in der zehnten Klasse abging, um auf dem Bau zu arbeiten. Als er siebzehn war, so alt wie dieses Mädchen jetzt, war sein erstes Kind unterwegs, das erste von zwölfen.
Das differenzierte Verständnis von Beschränkung, über das er bereits als Fünfzehnjähriger verfügte, war der siebzehnjährigen Colleen Clark zweifellos vollkommen fremd.
Sie ist schamlos, dachte er.
Gerry war zu der Überzeugung gelangt, dass die harte Arbeit und die fehlenden Möglichkeiten ihn unverwundbar gemacht hatten.
Vor einigen Jahren war er in seinem Ford-Pick-up den Garrison Hill hinuntergefahren und hatte das Lenkrad fest umklammert – es war Sonntagvormittag, in der Basilica war gerade die Messe zu Ende, seine jüngste Tochter hatte in der vergangenen Nacht ein Kind geboren, und er hatte ihr ein Dutzend Rosen gebracht und das Kleine in seinem Plastikbettchen neben dem Krankenhausbett der Mutter in Augenschein genommen. Ein paar Tage zuvor hatte er einen Vertrag über ein Areal Bauland abgeschlossen, das zu drei Vierteln bereits verkauft war, die Kirchenglocken läuteten, und ihm ging durch den Kopf, dass er unverwundbar war.
Nichts würde ihn mehr überraschen oder aus der Bahn werfen. Das war sein Gedanke, als er den Garrison Hill hinunterfuhr: Was auch kommen mochte, er würde ihm gewachsen sein.
Mrs. Duffy, Gerrys Mutter, war eine gertenschlanke Katholikin gewesen, die die Armut akzeptiert und die darin liegende Würde erkannt hatte, sie hatte sich davon hart machen lassen und führte ein zurückgezogenes Leben von rigoroser Selbstlosigkeit. Sie ging fast nie aus dem Haus. Einmal hatte sie Gerry geohrfeigt, als er vom Kartenspielen mit einer Fahne zurückgekommen war.
Er kochte jeden Abend für sie und händigte ihr immer seinen Lohnscheck aus. Eines Abends saßen sie am Esstisch und aßen Dorsch mit Kartoffelbrei, da klopfte es an der Tür.
Mr. und Mrs. Foley und ihre Tochter Mary standen aneinandergedrängt draußen im Regen, die Tropfen fielen wie Perlenschnüre von Mr. Foleys Schirmmütze. Gerrys Mutter stand in der Wohnzimmertür und presste die in der Faust zusammengeknüllte Serviette an die Brust. Gerry sah, dass seine Mutter eine alte Frau war, viel älter als Mrs. Foley, die leuchtend roten Lippenstift trug und Marys Schwester hätte sein können.
Mr. Foley fragte, ob sie eintreten und mit Mrs. Duffy und ihrem Sohn sprechen dürften.
Wir stören Sie beim Essen, sagte Mrs. Foley. Sie hatte die Teller auf dem Esstisch gesehen.
Das war nun gewiss nicht unsere Absicht, sagte Mr. Foley. Im Wohnzimmer setzte er sich aufs Sofa, sprang jedoch gleich wieder auf. Er versuchte, sich an das marmorne Kaminsims zu lehnen, doch es hatte die falsche Höhe für ihn, und so stellte er sich schließlich mit verschränkten Armen ins Halbdunkel einer Zimmerecke. Er arbeitete in der Postfiliale in der Water Street, und sein Gesicht war grau und porig wie Beton.
Wir essen immer um diese Zeit, sagte Gerrys Mutter grimmig. Was heißen sollte, dass sie in allem, was sie taten, absolut konsequent waren. Ganz gleich was die Foleys ihnen zu sagen hatten, sie würden sich der Situation gewachsen zeigen. Wie zum Beweis ihrer Verlässlichkeit schwenkte sie die Serviette vage in Richtung Esstisch.
Mary, bitte erzähl Mrs. Duffy, was du uns erzählt hast, sagte ihr Vater. Das Mädchen starrte auf seine im Schoß gefalteten Hände, die auf dem marineblauen Mantel sehr weiß aussahen. Ihr feines blondes Haar hatte sich hier und da aus dem Zopf gelöst, der ihr über den Rücken hing, und ihr Gesicht war feuerrot. Ein Kind war unterwegs.
Das junge Paar heiratete in der Basilica und wohnte zusammen in dem Zimmer direkt gegenüber dem seiner Mutter, bis fünf kleine Kinder da waren und es Zeit wurde, seine Mutter in ein Altenheim zu geben. Die Ehe war leidenschaftlich und beständig, bis Mary fünfzehn Jahre später, nach ihrem letzten Kind, an Gebärmutterkrebs starb. Da konnte das älteste Kind schon für das jüngste sorgen, und Duffy hatte den Grundstein zu seinem Vermögen gelegt.
Er freute sich auf das Treffen mit Colleen Clark. Er war schon bei Sonnenaufgang auf der Schnellstraße gewesen, um rechtzeitig da zu sein. Im August hatte er immer viel zu tun, aber er war neugierig
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