Im Rachen des Alligators
Streits. Sie waren große Geschichtenerzähler, machten einander das Wort streitig, schlugen lachend auf den Tisch.
Die Ballerina hatte ein kreischendes Lachen, bei dem sie rot anlief und nach Luft schnappte. Der Tisch wurde immer formvollendet gedeckt, und die Männer betraten nie die Küche. Madeleine war gern mit ihnen allen zusammen.
Sie liebte den Lärm, das Rattern und Rauschen der stampfenden Spülmaschine, das Geklapper des Bestecks, das Gelächter, liebte es, wenn die Deckel von den dampfenden Kasserolen gelupft wurden. Aber es war ein Leben, das sie selbst nicht führen konnte, es war zu groß und sauber. Einmal, als sie in die Küche kam, standen drei seiner Schwestern da und tuschelten, und Madeleine wusste gleich, dass es um sie ging.
Was gibt’s?, wollte sie wissen.
Die Ballerina sagte: Du lässt dich von ihm herumschubsen. Du wirst nie das kriegen, was du willst. Hast du denn gar keinen Ehrgeiz?
Später hängte Marty sich dann wütend ans Telefon. Machte mehrere Anrufe. Sie hörte ihn hinter der geschlossenen Tür.
Am besten war es ihnen miteinander ergangen, wenn sie allein waren. Mit Marty in Rom: Sie wäre schon zufrieden, wenn sie das vor ihrem Tod noch einmal erleben könnte. Wie Rom jetzt wohl wäre? Sie hatten dort in einem teuren Restaurant gegessen. Mit Kronleuchtern und Abendgarderobe und kleinen Portionen. Strauß an Trüffelsauce, Austern und Jakobsmuscheln, ein Grapefruit-Champagner-Sorbet, ein siebenschichtiges Schokoladendessert, dazu eine Flasche Rotwein, und dann gingen sie, ohne zu zahlen. Sie spazierten durchs Foyer, und der Portier hielt ihnen die Tür auf. Madeleine bückte sich, um einen Zwergpudel zu streicheln, der ein Mäntelchen aus Schottenstoff trug und von einer in Schals gehüllten Frau an der Leine geführt wurde. Sie streichelte den Hund, und dann bogen sie um die Ecke und rannten, was ihre Beine hergaben. Sie rannten durch kleine Gassen, liefen zwei gewundene Steintreppen hinauf und lehnten sich schließlich zum Atemschöpfen an eine Mauer, von der aus sie einen Blick über ganz Rom hatten. Dann hörten sie die flappenden Schritte von zwei Kellnern, duckten sich, und die Kellner in Smokinghose, weißem Hemd und Fliege rannten an ihnen vorbei.
Sie konnte Langschläfer nicht leiden. Ausschlafen war ein träges, freudloses Verhalten, man beschloss mehr oder weniger, das Leben an sich vorüberziehen zu lassen, und es war ein Ausdruck moralischer Schwäche.
Der Morgen ist die beste Zeit des Tages, hatte sie gesagt.
Marty hatte nicht von seinem Buch aufgeblickt.
Alles riecht besser, wenn man früh aufwacht. Er hatte umgeblättert.
Was liest du da? Sie stellte ihre Tasse ab. Jetzt im Moment? Lies mir den Satz vor.
Er würde dich nicht interessieren.
Trotzdem.
Den Satz, den ich gerade lese?
Ja, genau den, ich will wissen, was du denkst, jetzt in diesem Moment – und genau genommen auch in allen weiteren Momenten deines Lebens.
Okay, der Satz, den ich gerade gelesen habe, lautet: Wir sehen zum Beispiel das Schwungrad einer Maschine aus der Armbeuge eines Maschinisten ragen oder eine Tischkante durch den Schädel eines lesenden Mannes schneiden.
Sie schaute ihn verständnislos an. Er zog sich den einen Schuh aus und legte seinen bestrumpften Fuß unter dem Tisch in ihren Schoß. Er bewegte die Zehen.
Das ist von den Futuristen, sagte er.
Waren die nicht Faschisten?
Sie wollten, dass Zeit und Raum sich auflösten. Sie legte die eine Hand über seine Zehen, die andere presste sie neben der Untertasse flach auf den Tisch.
Lies mir noch ein bisschen daraus vor, sagte sie.
Sie hatten sich Fellinis La Strada angeschaut, und als sie herauskamen, sagte sie: Anthony Quinn. Mehr nicht.
Sie waren drei Monate miteinander allein, und alles, was sie taten, versetzte sie in Erstaunen – so war das. Einmal wurden sie von einer Frau mit verklebter Wimperntusche und einem Blutfleck in der linken Iris aus einer Buchvorstellung geführt. Sie hatten sich an den kostenlosen Getränken bedient, hatten hier von einem Tablett, das gerade vorbeigetragen wurde, ein volles Glas genommen, dort auf einem anderen Tablett ein leeres abgestellt, und dann musste Madeleine mitansehen, wie das Tablett, auf dem sie eben ein weiteres geleertes Glas abstellen wollte, in dem Moment wegschwenkte, wo sie den Stiel losließ, sodass das Glas auf dem Boden zerschellte, was einige Aufregung erzeugte.
Als die Frau Martys und Madeleines Arme auf der Treppe vor der Bibliothek losließ, gaben ihre
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