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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Beine unter ihnen nach, sie purzelten aufeinander, und das ganze Gebäck, das sie sich in die Taschen gestopft hatten, wurde zerdrückt.
    Sie waren kinderlos und wollten etwas werden. Alles, was sie taten oder sagten, ging in den Grundstock der vor ihnen liegenden Ehe ein. Sie fühlten nichts und sahen nichts, denn sie lebten völlig im Moment.
    Sie lebten so sehr im Moment, dass keine Zeit zur Reflexion blieb, und falls seine Schwestern recht hatten mit ihrer Behauptung, er kommandiere sie herum, sie hänge an seinen Lippen, als wäre er ein Gott, und es sei gefährlich, rückhaltlos zu lieben, so fehlte auch die Zeit, um über diese Dinge nachzudenken.
    Anthony Quinn, in Ketten geschlagen, wie er im Staub kniend die Kette um seinen Brustkorb sprengt, die Sehnen an seinem Nacken, diese unglaubliche Kraft.
    Sie fuhren immer weiter, bis man sie einlud, ein paar Nächte in einem strohgedeckten Häuschen im Schwarzwald zu verbringen. Ein muffig riechender Schlafsack in einem Dachzimmer mit schrägen Wänden.
    Wem gehörte das Haus? Wer hatte sie eingeladen? Sie machten lange Spaziergänge durch aufgeforsteten Wald, endlose Reihen von Bäumen, die alle genau gleich hoch waren und im gleichen Abstand zueinander standen, wie in einem Albtraum. Der Wald musste dem Albtraum eines Gnoms oder Kobolds entstammen, irgendeines nordischen Wesens, das nur halb Mensch war oder nicht einmal das. Die Äste waren kahl, und es regnete unentwegt, oder alles war in feinen Dunst gehüllt oder steckte im dichten Nebel. Marty lehnte sie an einen Baum, riss ihr die Jeans bis zu den Knöcheln herunter, und dann kniete er sich vor sie und brachte sie zum Orgasmus, und sie schaute durch das Astgewirr in die zerzausten Wolken, und als sie sich die Hose wieder hochzog, begann der Boden zu beben, und ein Mann mit einer leuchtend orangefarbenen Mütze kam auf einem gelben Bulldozer vorbei, nach zwei Wochen im Schwarzwald der erste Mensch, dem sie bei ihren Spaziergängen begegneten. Er nahm seine Mütze ab und winkte ihnen mit dem ganzen Arm zu.
    Sie war in der Morgendämmerung durch den einförmigen Wald gelaufen, während der Himmel gleichmäßig heller wurde und nichts anderes zu hören war als das Rascheln des Laubs unter ihren Füßen. Ein machtvoller, quälender Mystizismus begann von ihr Besitz zu ergreifen. Eine Krähe in den Bäumen erschien ihr wie ein früheres oder künftiges Leben, und als die Krähe heiser krächzend aufflog, erschreckte sie das zu Tode.
    Dort, dachte Madeleine, in dieser Einsamkeit, war sie geworden, wer sie war. In einer öden Landschaft, ungebrochener Einsamkeit und dauerhaft schlechtem Wetter wird man, wer man ist. Man kann durchs Leben gehen, ohne zu werden, wer man ist, aber langfristig ist es besser, in einem Wald von grotesker Planmäßigkeit, in dem nichts dem Zufall überlassen bleibt, auf sich selbst zu stoßen. Sie wünscht jeder Einundzwanzigjährigen ihren eigenen Schwarzwald.
    Stimmt es, dass ihr erstes Kind unter dem Strohdach jenes im Zauberwald versteckten Märchenhäuschens gezeugt wurde? Ja, es stimmt.

Colleen
    Auf dem Rückweg von ihrem Sabotageakt an den Bulldozern auf dem Kahlschlag wäre sie beinahe ums Leben gekommen. Nachdem sie fast den ganzen Tag am Straßenrand gewartet hatte, nahm ein Mann sie schließlich mit. Es wurde bereits dunkel, und der Regen hatte sie bis auf die Haut durchnässt. Kaum war sie in den Transporter eingestiegen, klingelte das Handy des Mannes.
    Russell, meldete er sich. Er schaute müde zu Colleen hinüber, drehte die Heizung höher, und dabei rutschte ihm das Handy vorne in die Jacke. Als er versuchte es aufzufangen, geriet der Transporter ins Schlingern. Er hörte zu, presste sich die Hand an die Stirn und sagte: Sandra, Sandra. Dann legte er sich das Handy aufs Bein. Colleen hört eine schrille Stimme an seinen Oberschenkel plappern.
    Was machst du da eigentlich?, fragte er Colleen. Weißt du nicht, dass Trampen gefährlich ist?
    Er griff nach dem Handy und sagte: Sandra, ich kann dir das erklären. Er hörte zu.
    Dann sagte er: Ich möchte dazu was sagen. Lass mich auch mal reden. Du hast das gewusst. Ich habe es dir gesagt. Jetzt hör mir doch mal – zu, Herrgott noch mal.
    Er schaute zu Colleen hinüber. Die Frau machte weiter, jetzt weinte sie. Er klappte ruhig das Handy zu und ließ es in seine Tasche gleiten.
    Ein schöner Abend, sagte er. In seiner Tasche klingelte wieder und wieder das Handy.
    Ich mache Ihren Sitz ganz nass, sagte Colleen.
    Hast du

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