Im Rachen des Alligators
zusammenzuhalten – dieses großartige Projekt, die wahre Liebe. Sie hatte die Arme darum geschlossen, die Finger fest ineinander verschränkt, alle Muskeln angespannt, und trotzdem war alles auseinandergeflogen. Marty hatte im Gerichtssaal verwirrt ausgesehen. Es war keine Gefälligkeit, dass er ihr das Sofa überließ, er war einfach nicht mehr daran interessiert. Mit sichtlicher Benommenheit und Verwirrung hatte er zugesehen, wie sie die Scheidung vorantrieb. Er weigerte sich, Papiere zu unterschreiben, ließ lange Pausen im Verfahren entstehen. Einmal kam nachts ein Backstein durch ihr Fenster geflogen, aber sie war sich nicht sicher, wer ihn geworfen hatte. Er hielt das Ganze auf, so gut er konnte. Und als dann endlich der Schlussstrich gezogen war, erschien er mit einer jungen Cellistin auf einer Party. Er hatte einen Knopf mehr als sonst an seinem Hemd offengelassen, sodass sein Brusthaar zu sehen war. Er hatte ihn aufgeknöpft oder vergessen zu schließen – so befreiend war seine Beziehung zu der Cellistin. Tatsächlich war das ganze Hemd falsch geknöpft gewesen – auf einer Party ihrer beider engsten Freunde. Sein Hemdzipfel hing heraus wie eine Fahne.
Letztlich war sie gegangen, weil sie sich um so vieles hatte kümmern müssen – dieses ewige Gerenne. Wenn sie an sich kümmern denkt, sieht sie sich in der Waschküche in der Lime Street konzentriert horchen, um ein Leck zu lokalisieren. Unter der Waschmaschine hatte sich ein kleiner See gebildet. Sie fuhr mit dem Finger über die Rohre, tastete nach einem Riss. Aber es war nicht das Sich-kümmern-müssen. Sie hatte ihre Ehe einfach nicht mehr von einer höheren Warte aus betrachten können – das war das Problem – weil sie sich so in ihre Arbeit vergraben hatte. Sie war völlig absorbiert gewesen, hatte vergessen, wer sie war.
Und das, bevor sie auch nur daran dachte, einen Spielfilm zu drehen.
Sie fuhr Andrew zum Karate, sie fuhr Melissa ins Ballett: Das war sie. Man kann fahren und zu jemandem werden, der fährt. Manchmal hatten Marty und sie versucht, sich einen schönen Abend zu machen. Sie gönnten sich etwas Besonderes, ein Steak, guten Wein, um ihre Beziehung aufzufrischen; selbst ganz normaler Sex war mittlerweile zu einem bewussten Vorhaben geworden – und dann schrie Melissa im Schlaf auf.
Die Autoheizung war damals ständig kaputt und die Windschutzscheibe überfroren. Sie musste mit offenem Fenster fahren, und das bei Minusgraden.
Andrew, ganze fünf Jahre alt, in seinem schwarzen Karateanzug mit dem zweifach umgebundenen, geknoteten weißen Gürtel, richtig schick sah er aus.
Fünfundzwanzig, dreißig Jahre musste das her sein.
Es war nicht die Heizung, es war die Lüftung, behauptet Marty. Die Heizung hat funktioniert.
Jemand drückte auf die Hupe, sie sah überhaupt nichts, die ganze Windschutzscheibe war vereist, sie wischte mit dem Bündchen ihres Pullovers darüber.
Seit Wochen leuchtete ein rotes Lämpchen, auf dem Öl prüfen stand. Hühnerschlegel bestrich sie mit Champignoncremesuppe und geriebener Orangenschale. Sie war eine Liebesmaschine, die im Dunkeln rackerte. Sie war eine Abendessensbereiterin, eine Hausarbeitenerledigerin. Sie war die Person, die fuhr.
Sie hatte damals ein heimliches Projekt im Kopf, eine Doku-Serie über Inselkulturen. Es würde Monate dauern, das Drehbuch zu schreiben, aber sie glaubte, dass die Idee funktionieren würde. Nationalismus, Ukuleles, Baströckchen, und auch die dunkleren Seiten: Haie, Voodoo, fingerhutkleine Genpools. Sie wollte selbst Regie führen, was bedeutete, dass sie zwei Jahre auf Achse sein würde.
Sie erinnert sich nicht daran, gedacht zu haben: Und was ist mit den Kindern? Soll Marty sich um die Kinder kümmern, hatte sie gedacht. Scharenweise Männer gehen auf Ölbohrinseln arbeiten, dachte sie; gar nichts dachte sie. Sie erwähnte die Serie Marty gegenüber gar nicht.
Am Ende des Kurses wurde Andrew aufgerufen, er machte seine Verbeugung, führte seine Tritte und Stöße und Abwehrhaltungen vor und errang den gelben Gürtel.
Sie stand vor einer roten Ampel und kippte den Rückspiegel und sah, dass Andrew auf der Rückbank schlief. Was für eine stürmische Liebe sie für den Jungen empfand, besonders wenn er schlief. Das reichte.
Schnee trieb schräg durchs Scheinwerferlicht, sie fuhr durch Schneematsch und durchnässte einen Fußgänger. Ein Eissturm war im Anzug, der Strom würde ausfallen, die Straßen wie Glas, und plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch
Weitere Kostenlose Bücher