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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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immer ziemlich bang zumute war, und er hatte die Gabe des zweiten Gesichts entwickelt.
    Er hatte das Mädchen schon kurz vor ihrem tatsächlichen Erscheinen auf das Haus zukommen sehen. Er hatte gerade Zahlenkolonnen zusammengerechnet und dabei ihre Gegenwart gespürt, sogar ihre Haarfarbe gesehen und dass sie eine indische Baumwollbluse trug, an deren Halsausschnitt zwei rote Bändel mit Glasperlen am Ende hingen.
    Sind Sie manchmal einsam?, fragte das Mädchen.
    Du fragst ganz schön viel, sagte er.
    Der Wagen seiner Frau war von Sumpfschatten gefleckt gewesen, und die Sonne war schon warm. Die Autotür schlug mit einem satten, feuchten Schlag zu. Der Motor klang verschleimt, als sie ihn anließ, die Hinterreifen schleuderten Schlamm in die Luft, der Wagen steckte fest. Sie stellte den Motor ab und saß reglos da, schaute aus dem Seitenfenster und dachte angestrengt nach.
    Sie saß da, und der Blaureiher, der im Sumpf lebte, flog über sie hinweg, er war noch blauer als sonst, ein Wildnisblau, und sogar in einem Moment wie diesem verwirrte ihn die Schönheit des Vogels, warf ihn aus der Bahn.
    Seine Frau stieg aus, und ihre Absätze sanken in den Schlamm, was ulkig war, aber zugleich auch einer der Gründe, warum sie ging, oder vielleicht sogar genau der Grund. Ihre Absätze sanken in den Schlamm, und sie wandte sich einfach um und stieg wieder ein, und diesmal stieg Qualm von den durchdrehenden Reifen auf, und man roch das versengte Gummi, doch dann griffen die Räder, und das Auto sauste rückwärts los, sie fuhr im Rückwärtsgang die Zufahrt hinunter, dann riss sie das Steuer herum und raste davon.
    Die Freundlichkeit geht als letztes, sagte er. Er stellte die Schüsseln mit der zerlassenen Butter auf den Tisch und dazu einen Topf gekochte Kartoffeln. Er hatte auch noch etwas Spargel, den er fast vergessen hätte.
    Tunk die Flusskrebse einfach in die Butter da, sagte er. Ich rühr die Dinger nicht an.
    Freundlichkeit und Enttäuschung geben sich an der Tür die Hand und quetschen sich dann aneinander vorbei, dachte er. Aber die Freundlichkeit erlischt wie ein Streichholz. Wenn sie weg ist, ist sie weg.
    Irgendwie erinnerte Colleen ihn an seine Ex-Frau. An den Impala und ihre Gitarre und an die öligen schwarzen Kaffeebohnen, die sie so mochte. Das Mädchen besaß eine Art inneres Leuchten, so wie seine Frau.
    Du hast ja einen gesunden Appetit, sagte er. Er hatte aufgehört zu essen und schaute ihr jetzt einfach zu. Sie tunkte die Flusskrebse in die Butter, saugte das Fleisch heraus und warf die Schalen weg. Sie hatte Butter am Kinn und einen fettigen Daumenabdruck auf der Wange, der sichtbar wurde, als sie sich im Kerzenlicht zu ihrem Bier vorbeugte. Er wusste nicht, ob sie alt genug für Alkohol war, aber es war ihm auch egal.
    Mit seiner Frau war das so gewesen: Sie war immer witzig und sinnlich. Sie trug immer diese Jeans, und sie konnte kochen, und er schaute ihr gern beim Einkaufen zu. Sie feilschte: Bananen mit Druckstellen, ein zerbeulter Toaster, sie konnte Ladenbesitzer in einer Weise herunterhandeln, dass diese sich hinterher sogar noch geschmeichelt fühlten.
    Wenn er im Sumpf war und Eier einsammelte, übte sie manchmal den ganzen Nachmittag Gitarre. Sie hatte sich selbst klassische Gitarre beigebracht, in den Bars allerdings sang und spielte sie in dem lasziv gedehnten Ton, der ihr von früh an vertraut gewesen war. Kehrte er unter dem Sternenhimmel zum Wohnwagen zurück, wurde er von einer dunklen, wogenden Musik empfangen, und sie war entrückt, völlig weggetreten, und das mochte er.
    Ich habe Ihr Hochzeitsbild gesehen, sagte Colleen. Das Hochzeitsbild hatte er ganz vergessen. Er hatte es seit Monaten, vielleicht sogar Jahren nicht mehr angeschaut. Sie hatten sich in Las Vegas von einem als Queen Elizabeth verkleideten Transvestiten trauen lassen, und womöglich, dachte er, war ihnen das zum Verhängnis geworden. Sie waren respektlos gewesen und hatten den mystischen Aspekt des Aktes ignoriert.
    Er wünschte, er könnte wieder so sein wie damals.
    Seine Frau hatte zu Queen Elizabeth gesagt, sie werde ihren Mann ehren, und das Wort hatte für ihn irgendwie biblisch geklungen.
    Er hatte schon mit achtzehn angefangen, den Kopf in das Maul von Alligatoren zu stecken. Er kannte die Tiere. Er wusste genau, wie langsam oder schnell sie waren. Er wusste, wie kalt sie waren und wie ihr Atem roch.
    Queen Elizabeth hatte sie beide mit dem Zepter an der Schulter berührt und Konfetti in die Luft geworfen.

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