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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Sie dachten nicht an Dauer, denn sie waren zu jung, um sie sich vorstellen zu können.
    Sie dachten an Dauer, hatten aber keine Ahnung, was das bedeutete.
    Was es bedeutete, war sein Wohnwagen am Rand des Sumpfes und das Haus, das er von eigener Hand erbaut hatte, 112 Alligatoren, der Mann, den er für die Besichtigungstouren angestellt hatte, die Häute, die sie verkauften, und der Tiefkühlschrank voller Fleisch.
    Und letztlich hatte es bedeutet, dass er von einem der Tiere fast zerfleischt worden war. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus erschoss er das Tier, ließ es häuten und hängte die Haut über den Kamin, und seine Frau sang weiterhin in Bars.
    Das Mädchen stand vom Tisch auf, und er sagte, sie solle zu ihm herüberkommen, und wischte ihr dann mit der Serviette die Butter von der Wange.
    Er hatte sie berührt, ohne darüber nachzudenken, ihre Blicke trafen sich, und er schob seinen Stuhl zurück und versuchte seine Verlegenheit zu überspielen, indem er seinen Teller zum Spülbecken trug, doch dieser kleine Vorfall hatte ihn verunsichert, ihm zerbrach ein Glas, und sie holte den Besen und war plötzlich ganz geschäftig und stellte ihm lauter Haushaltsfragen.
    Wir waren noch Kinder, sagte er, denn er sah, dass sie wieder vor dem Hochzeitsbild stand. Sie rieb es behutsam mit dem Ärmel ihrer Bluse ab.
    Sie hatte ihren Impala und eine wachsende Anhängerschaft in den Bars. Sie schrieb ihre eigenen Songs, man nahm Notiz von ihr.
    Er hätte wissen müssen, dass das Eheversprechen heilig war, und sich von dem Queen-Elizabeth-Imitator fernhalten sollen.
    Er hätte wissen müssen, dass dieser Akt nach Schicklichkeit verlangte. Hätte er die Macht des Rituals geachtet, dann hätte die Ehe vielleicht gehalten.
    Sie waren erst achtzehn und neunzehn, und sie nicht einmal schwanger.
    Aber vielleicht hatte selbst dieser Kerl mit seinem Queen-Elizabeth-Kostüm, seiner Krone und seiner gewaltigen ins Korsett gezwängten Wampe ihre Heirat nicht besudeln können.
    Vielleicht war sie gar nicht besudelt worden. Vielleicht waren sie damals so rein gewesen wie nur je. Zu jung für Heiligkeit.
    In diesem Mädchen, Colleen, sah er eine ähnliche Art von Traurigkeit, etwas Dunkles, wie er es von seiner Frau kannte.
    Haben Sie am Tisch immer einen Cowboyhut auf?, fragte sie. Sie hatte einen Schluck Bier genommen und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er setzte den Hut ab und legte ihn zwischen ihnen auf den Tisch.
    Es war, als ginge diesen Frauen alles nahe, alles Übel auf dieser Welt, dachte er. Sie konnten es sich nicht vom Leib halten. Sie fühlten alles. Und sie wollten alles retten. Das war es: Sie wollten alles retten.
    Die Alligatorenfarm war von einem grünlichen, fast greifbaren Licht erfüllt und von dem Geruch nach Potenz, nach purer Sexualität, doch er war allein. Bei diesem einen Tier hatte er sich verschätzt. Oder vielleicht war es aus der Art geschlagen, oder ihm war schlicht und einfach der eine Tropfen Schweiß zum Verhängnis geworden.
    Acht Monate im Krankenhaus, und danach war er nicht mehr der Alte.
    Er hatte eine Infektion im Gehirn gehabt, und noch lange danach machten ihm die einfachsten Dinge Schwierigkeiten. Er konnte die Uhr nicht lesen. Er sah verschwommen. Die Anfälle begannen.
    Alles Heilige war verpufft, an seine Stelle war eine Art Taubheit getreten, sie erfüllte das Innenohr, und der Raum geriet in Schieflage.
    Das Bild des Impala, der rückwärts über den ausgefahrenen Weg holpert: Es konnte nicht wiederholt, nicht unterdrückt, nicht begriffen werden. Es war ein Altar und eine Geschichte ohne Worte, denn er hatte nie richtig davon gesprochen. Er verlor den Halt, als seine Frau ihn verließ.
    Er wurde sensibel für sein Erscheinungsbild. Und er vergaß, dass er ein Erscheinungsbild hatte. Der lederne Cowboyhut war ein gutes Beispiel. Es war ihm ein Rätsel, wie er an den Punkt hatte kommen können, so ein Ding zu tragen. Was ihn in den Souvenirladen in Mobile geführt, warum es ihn zu dem Hutständer gezogen hatte, war ihm vollkommen schleierhaft. Aber der obere Teil hatte sich vom ständigen Tragen dunkel verfärbt, und man sah ihn nie ohne den Hut. Er erinnerte sich noch daran, wie er in einem Einkaufszentrum vor einem Behälter voll weißer Unterwäsche gestanden und begriffen hatte, wie absurd das alles war, dieser Behälter und die Unterwäsche und dass er ohne Bindung war.
    Abends stemmte er Gewichte und hörte dazu Björk oder Lucinda Williams oder Thelonious

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