Im Rausch der Ballnacht
welcher ihrer beiden wilden Söhne sich wohl doch noch entschlossen hatte, Weihnachten mit ihnen zu feiern. Doch einen Moment lang erkannte sie den Fremden nicht, der dort auf der Schwelle stand. Es war ein hochgewachsener, braun gebrannter Mann mit einem roten Schal um die Stirn. Am Gürtel trug er einen großen Dolch, ein Paar Pistolen und ein mit Edelsteinen verziertes Schwert an der Hüfte. Sein Hemd war sauber, aber verwaschen, es hatte weite Ärmel und bauschte sich unter einer reich bestickten, mit Gold verzierten und vielfarbigen Weste. Auch die langen, gefährlich aussehenden goldfarbenen Sporen ließen ihn fremdartig erscheinen. Und dann erkannte sie ihn.
“Cliff?”, fragte Edward erstaunt, mindestens ebenso fassungslos wie seine Frau.
Tyrell oder Rex, einer der Brüder, lachte, und dann wurde Cliff von allen umarmt.
Als das festliche Abendessen vorüber war, zogen sich die Herren mit Brandy und Zigarren zurück, während die Damen in den Salon gingen, um zu plaudern und zu klatschen. Tyrell stand allein draußen auf der Terrasse. Es war sehr kalt, eine feuchte Nacht, das Wetter unbeständig, irgendwo zwischen Regen, Schneeregen oder vielleicht auch Schnee. Ohne die Kälte zu fühlen, nippte er an seinem Whiskey. Tief im Innern fror er schon so lange, dass ihm die frostigen Temperaturen draußen angenehm waren.
Vor sich sah er ein paar graue Augen, die verletzlich wirkten und ihn vorwurfsvoll ansahen – Augen voller Schmerz.
Er fluchte über die Erinnerungen, die sich ihm aufdrängten. Würde er diese elende Affäre denn niemals vergessen können? Würde sie ihn bis ans Ende aller Zeiten verfolgen? Er trank das Glas leer und schleuderte es gegen die Balustrade, sodass es zerbrach.
Elizabeth Fitzgerald hatte sein ganzes Herz gehört, und ihren Verrat würde er ihr niemals verzeihen. Die Wunde war allmählich verheilt, aber noch immer trug er die Narbe, die ihn schmerzte, die brannte und ihn störte. Vor langer Zeit schon hatte er gelernt, dass Wut eine Flucht sein konnte, denn sie war erträglicher als Kummer. Traurig war er nun nicht mehr. Doch tief in seinem Innern loderte der Zorn.
Jetzt wischte er sich das Blut von der Hand, wütend auf sich selbst, auf sie, auf die ganze Welt.
Er fragte sich, was er wohl tun sollte, um nie wieder an sie denken zu müssen. Um ihr Gesicht zu vergessen, ihren Namen, den Umstand, dass es sie überhaupt gab.
Du wirst mich nicht verlassen! Nichts wird sich ändern!
Alles hat sich geändert, Mylord!
Er fluchte. Er hatte sie gebeten, ihn nicht zu verlassen, er hatte sie angefleht, aber es war offensichtlich nicht nur so, dass sie sich so wenig aus ihm machte, dass sie ihn dennoch verlassen hatte, sie hatte ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen.
Kein einziges verdammtes Wort!
Was war er doch für ein Narr gewesen! Er hatte ihren Liebeserklärungen, alle geäußert in den Augenblicken der Leidenschaft, tatsächlich geglaubt.
“Sind Sie krank, Mylord?”, fragte ihn seine Verlobte besorgt. Sie stand hinter ihm.
Sofort setzte er eine gleichmütige Miene auf und schob alle Gefühle weit von sich. Dann drehte er sich um und verbeugte sich leicht. “Mylady, es geht mir gut. Ich hoffe, das erste Weihnachtsfest im Kreise meiner Familie gefällt Ihnen?”, fragte er und wechselte geschickt das Thema.
Sie trat vor, so anmutig, als schwebe sie, und lächelte ihn an, wie sie immerzu lächelte. “Warum sollte es nicht? Ihre Familie ist so nett.”
Jetzt erinnerte er sich daran, dass sie ein Einzelkind war. “Feiertage wie diese müssen Ihnen sehr ungewöhnlich vorkommen, ein ganzes Haus voller Grobiane.”
Sie verzog keine Miene, sondern antwortete umgehend. “All Ihre Brüder sind echte Gentlemen, Tyrell, Ihre Schwester ist wirklich reizend, und Ihre Schwägerin sehr freundlich. Ich kann mich in keiner Weise beklagen.”
Es war beinah unglaublich, dass er nun bald Blanche heiraten würde. Wenn er sie ansah, so wie er es jetzt tat, dann konnte er es noch immer nicht fassen. Seine Familie, die Freunde und Nachbarn mochten sie. Nur er konnte für sie absolut nichts empfinden.
Nie zuvor, in seinem ganzen Leben nicht, war ihm eine Frau mit so vollendeter Haltung begegnet. Es war kaum vorstellbar, dass irgendein Ereignis sie aus der Ruhe bringen könnte. Er versuchte, sich einzureden, dass es ihm egal war.
Und dann dachte er an ein Paar graue Augen, wie verschleiert vor Verlangen, dachte daran, wie sie vor Lust geschrien hatte.
Unglücklicherweise reagierte
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