Im Rausch der Freiheit
Dyck dem Gouverneur stromabwärts zu.
»Kämpfen, van Dyck. Kämpfen. Wir werden jeden Mann brauchen.«
Das Gesicht des Gouverneurs war wie aus Flint gemeißelt. Hochgewachsen und straff, auf sein Holzbein gestützt, hatte er noch nie unbeugsamer ausgesehen. Man konnte den Mann nur bewundern. Aber wenn die ganze englische Kriegsflotte von Boston heruntergekommen war, würde man es mit einem mächtigen Gegner zu tun haben. Die Schiffe trugen mit Sicherheit Geschütze. Trotz aller Anstrengungen, die Stuyvesant in jüngster Zeit unternommen hatte, konnte sich van Dyck nicht vorstellen, dass die Uferbefestigung von Neu-Amsterdam ihnen lange standhalten würde. Wenn Stuyvesant entschlossen war zu kämpfen, würde es eine blutige und unergiebige Unternehmung werden.
Gleichsam in Einklang mit seinen Gedanken schob sich eine Wolke vor die Sonne, und die hohen Steinpalisaden über ihnen entfärbten sich zu einem düsteren Grau, das grimmig und bedrohlich wirkte.
Ungeachtet dessen, was Stuyvesant sagte, kam van Dyck rasch ein weiterer Gedanke. Wenn ich die Gefährlichkeit dieser Strategie erkenne, kann das jeder andere Kaufmann in der Stadt auch. Würden die Männer von Neu-Amsterdam ihren Gouverneur gegen die Engländer unterstützen? Wahrscheinlich nicht, falls die Engländer in voller Stärke heranrückten. War seine Familie in Gefahr? Unwahrscheinlich. Konnten die Engländer ein Interesse daran haben, die Stadt in Schutt und Asche zu legen und sich die niederländischen Kaufleute zu Feinden zu machen? Er bezweifelte es. Die Engländer wollten eine reiche Hafenstadt, keinen rauchenden Trümmerhaufen. Sie hatten jeden Grund, großzügige Bedingungen anzubieten. Nach van Dycks persönlicher Überzeugung machten Politik und Religion die Menschen gefährlich. Der Handel dagegen machte sie klug. Trotz Stuyvesant, schätzte er, würde man sich handelseinig werden.
Sollte er also zusammen mit Stuyvesant wie ein Racheengel auf Manhattan niederstoßen?
Er schaute den Fluss voraus. In dem Tempo würden sie in einer Stunde die Nordspitze von Manhattan erreichen. Er warf einen Blick auf seine Ruderer. Würden sie es schaffen, diese Schlagzahl beizubehalten? Wahrscheinlich nicht. Umso besser. Wenn er sich diskret zurückfallen ließ, müsste es ihm eigentlich gelingen, bevor sie Neu-Amsterdam erreichten, sich von Stelzfuß zu trennen.
Er wartete. Das Boot des Gouverneurs war schon ein paar Längen voraus.
»Aufschließen!«, schrie Stuyvesant. Er stand ihnen jetzt zugewandt, um sie im Auge zu behalten.
»Ich folge Ihnen, mein General«, rief van Dyck zurück. Als sie das hörten, legten sich seine Männer noch mehr in die Riemen, und eine Zeitlang blieb der Abstand zur Schaluppe konstant. Umso besser. Sollten sie sich ruhig verausgaben. Solange nur der Gouverneur fürs Erste zufrieden war.
Der Bug seines Bootes traf auf eine kleine Welle, hob sich und klatschte dann wieder aufs Wasser zurück, und van Dyck beugte sich leicht nach vorn, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als er sich erneut aufrichtete, schlug der Beutel an seinem Gürtel leicht gegen seinen Oberschenkel. Er schaute hinunter, dachte an den Silberdollar in seiner Schachtel, sicher verwahrt in seinem Beutel. Da wurde ihm siedend heiß bewusst: Sie waren fast auf der Höhe von Bleiche Feders Dorf. Durch diese unerwartete Begegnung mit Stuyvesant hatte er seine Tochter vergessen. Der leichte Schlag gegen seinen Oberschenkel war eine Mahnung gewesen.
Bleiche Feder. Was sollte er jetzt tun?
Stuyvesant beobachtete ihn nach wie vor mit Argusaugen. Van Dyck wagte es nicht, Kurs auf das Dorf nehmen zu lassen. Am Ende hätte der Gouverneur gewendet und ihn gewaltsam flussabwärts geschleppt. Der Mann war zu so etwas durchaus imstande.
Minuten verstrichen. Die zwei Boote jagten, durch die unsichtbare Kraft von Stuyvesants Willen aneinandergekettet, zusammen den Fluss hinab. Jetzt passierten sie gerade das Dorf drüben am Ostufer. Van Dyck konnte die Indianer sehen, die mit Netzen im seichten Wasser fischten. Andere Gestalten, wahrscheinlich Frauen, standen weiter oben auf der Böschung und schauten herüber. War Bleiche Feder unter ihnen? Er konnte es nicht erkennen. Sah sie ihn jetzt gerade? Wusste sie, dass er, trotz seines Versprechens, an ihr vorüberfuhr, ohne auch nur für einen Moment an Land zu kommen? Musste sie nicht glauben, dass ihr Vater sich von ihr losgesagt hatte?
Er starrte auf die andere Flussseite, wandte aber rasch den Blick wieder ab. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher