Im Rausch der Freiheit
waren praktisch nicht in Umlauf.
Doch wenn er vorgehabt hatte, den jungen Engländer in Verlegenheit zu bringen, schien er damit keinen Erfolg zu haben. Tom lachte nur. »Das kann ich nicht bestreiten«, räumte er ein. »Das hier ist die einzige Währung, der ich vertraue.« Und er holte aus der Innentasche seines schwarzen Mantels eine kleine flache Schachtel heraus, klopfte leicht darauf und reichte sie dann dem Niederländer. Die Schachtel bestand aus Kiefernholz und war weniger als handtellergroß. Van Dyck schob den Deckel zurück. Das Innere war mit Stoff ausgekleidet, und darauf ruhte eine einzelne Münze, die im schwindenden Licht glänzte.
Es war der Silberdollar, den Tom seinem Bruder gestohlen hatte.
Daalder nannten das die Niederländer, aber letztlich stammte das Wort vom deutschen »Taler« ab. Kaufleute verwendeten den »Dollar« mittlerweile seit fast anderthalb Jahrhunderten, und die Niederländer prägten den größten Teil der Dollar, die in der Neuen Welt in Umlauf waren. Es gab davon drei Sorten. Einmal war da der dukaat, besser bekannt als der Dukaten, auf dem ein Reiter abgebildet war und der sechs englische Shilling wert war. Als Nächstes kam der rijksdaalder, von den Engländern »rix dollar« genannt und fünf Shilling wert – oder acht spanische Reales, wenn man nach Süden segelte. Aber am weitesten verbreitet war der Löwendollar.
Diese Münze war zwar etwas weniger wert als die anderen Dollar, dafür aber die schönste. Die Vorderseite zeigte einen stehenden Ritter, dessen Schild das Bildnis eines aufgerichteten Löwen trug; und auf der Rückseite füllte jener Löwe die ganze Fläche aus. Die Münze hatte einen kleinen Mangel: Sie war nicht immer fehlerlos geprägt. Aber das spielte kaum eine Rolle. Von Neuengland bis hinunter zu den spanischen Besitzungen war der schöne niederländische leeuwendaalder in Gebrauch.
»Holländisches Geld«, sagte Tom grinsend, als van Dyck die Münze aus der Schachtel nahm und sie betrachtete.
Löwendollar waren meist abgerieben, doch dieser hatte nicht einmal den kleinsten Kratzer. Er war prägefrisch und glänzte herrlich. Und während van Dyck die Münze bewunderte, kam ihm plötzlich eine Idee.
Er stand auf und ging hinüber zu zwei Indianermädchen, die etwa so alt wie Bleiche Feder sein mochten. Er zeigte ihnen die Münze und erlaubte ihnen, sie in die Hand zu nehmen. Während sie die blanke Scheibe hin und her wendeten und die Motive und die Lichtreflexe der sinkenden Sonne betrachteten, leuchteten ihre Gesichter auf. Woran lag es bloß, fragte sich van Dyck, dass Gold- und Silbergegenstände Männer und Frauen gleichermaßen zu faszinieren schienen? »Das ist schön«, sagten sie. Als er zu dem jungen Burschen aus Boston zurückkam, sagte van Dyck: »Ich kaufe ihn Ihnen ab.«
»Der wird Sie« – Tom überlegte – »einen Dukaten und ein Biberfell kosten.«
»Was? Das ist Halsabschneiderei!«
»Die Schachtel gibt’s umsonst dazu«, ergänzte Tom vergnügt.
»Sie sind ein junger Gauner«, sagte der Niederländer belustigt. »Aber einverstanden.« Er sparte es sich zu feilschen, denn er hatte gerade sein Problem gelöst. Das Fell war ein Opfer, das er geradezu gern erbrachte. Jetzt hatte er ein Geschenk für seine Tochter.
Um sicherzugehen, dass Tom nichts stahl, schlief der Holländer in dieser Nacht in seinem Boot. Als er sich auf den Fellen ausstreckte und nach der kleinen Holzschachtel mit dem Silberdollar tastete, die sicher im Beutel an seinem Gürtel lag, und der leichten Brise in den Baumkronen lauschte, stellte er sich vor, er könne, so wie seine Tochter versprochen hatte, ihre Stimme hören. Und er lächelte zufrieden.
*
Am Morgen darauf trennte sich van Dyck von dem jungen Engländer. Er würde noch vor Abend Bleiche Feders Dorf erreichen, den ganzen morgigen Tag dort bei seiner Tochter verbringen und am Tag darauf nach Manhattan weiterfahren.
Es war warm, und er trug ein offenes Hemd. Seinen Ledergürtel hatte er gegen den Wampum-Gürtel ausgetauscht, den Bleiche Feder ihm geschenkt hatte. Daran hing ein kleiner Beutel mit dem Silberdollar.
Auf dem Fluss waren nur wenige Boote. Gelegentlich sahen sie ein Indianerkanu im Flachwasser; doch als sie mit der Tide weiter stromabwärts kamen, hatten sie die Wasserstraße ganz für sich. Das hohe Westufer schützte den Fluss vor der leichten Brise, und das Wasser war spiegelglatt. Rings um sie nichts als Stille. Nach einiger Zeit fuhren sie um eine Biegung, wo auf der
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